Äthiopien  4 Geschichte
Das östliche Afrika wird von der überwiegenden Mehrheit aller Paläanthropologen als die Wiege der Menschheit bezeichnet. Lange bevor es Schrift gab oder eine Überlieferung, auf die wir uns heute beziehen können, gab es auf dem Gebiet des heutigen Äthiopiens Menschen und Vormenschen. Zahlreiche Überreste solcher Vormenschen (zum Beispiel Australopithecus afarensis) wurden in Äthiopien gefunden („Lucy“ 1974 in Hadar; DIK1-1 – das Mädchen von Dikika – 2000 in Dikika).
Als eines der bedeutenden „Weltreiche“ (so der Prophet Mani) in der Zeit der Spätantike gilt das nordäthiopische Reich von Axum (auch Aksum), das eines der ersten christlichen Königreiche der Welt war. Es beherrschte allerdings nur kurzzeitig auch Teile der südlichen arabischen Halbinsel und des Nordsudans, nicht aber Teile des heutigen Südäthiopien. Wie lange auch Teile des heutigen Sudan südlich von Atbara unter axumitischer Herrschaft standen, ist umstritten; wahrscheinlich beschränkte sich diese kurzzeitig im 4. Jahrhundert etablierte Herrschaft auf zeitweilige Tributzahlungen. Mit der Ausdehnung des Islam im 7. Jahrhundert (Islamische Expansion) wurde die äthiopische Christenheit vollständig vom Einfluss der europäischen Kirche abgeschnitten.
1493 erreichte der Portugiese Pedro de Covilhão den Hof des Negus. Er sollte für ein portugiesisch-äthiopisches Bündnis werben, da Portugal zu dieser Zeit begann seine Herrschaft im Indischen Ozean aufzubauen. 1543 unterstützten portugiesische Hilfstruppen unter dem Sohn von Vasco da Gama, Cristovão da Gama, die Äthiopier auf Hilferuf des Negus gegen die Truppen Ahmed Graññ's (Sultanat Adal), denen sie eine vernichtende Niederlage beibrachten. Ihre Strategie einer Bekehrung des gesamten Landes zum katholischen Glauben scheiterte jedoch.
Im Zuge des Kolonialismus hatte sich Äthiopien immer wieder der Einflussnahme europäischer Mächte zu erwehren, zunächst unter Kaiser Tewodros der Britischen Äthiopienexpedition von 1868, dann am Ende des 19. Jahrhunderts des Einflusses der Italiener und ihrer Kolonie Eritrea. Trotz der technisch überlegenen, modernen Waffen der italienischen Armee schlugen die Äthiopier 1896 unter Kaiser Menelik II. die italienischen Invasoren zurück (Schlacht von Adua). Dieses Ergebnis gilt bis in die Gegenwart als wichtiger Sieg einer afrikanischen gegen eine europäische Armee und wurde in der Folgezeit fester Bestandteil des äthiopischen Nationalbewusstseins.
Auf die Sicherung der Unabhängigkeit folgte die Eroberung im Süden des heutigen Staatsgebietes. Diese neueroberten Gebieten fallen unter ein archaisch-feudales System der Landnahme. 1935 kam es zu einem weiteren italienischen Angriff unter Mussolini (Italienisch-Äthiopischer Krieg bis 1936). Nur mit massivem Einsatz von Giftgas auch gegen die Zivilbevölkerung, gegen Krankenhäuser usw. gelang es den Italienern, bis zur Hauptstadt Addis Abeba vorzustoßen. Obwohl die italienische Armee die Oberschicht des Landes mit Massenerschießungen zu vernichten versuchte, gelang es ihr zu keinem Zeitpunkt, das ganze Land zu kontrollieren. Kaiser Haile Selassie wurde vorübergehend vertrieben, kehrte aber 1941 mit britischer Hilfe zurück. Insgesamt fielen dem völkermordartigen Vorgehen der Italiener rund 700.000 Äthiopier zum Opfer, das waren knapp zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Während ihrer kurzen Herrschaft in Äthiopien führten die Italiener ein System der Rassentrennung ein, das in der Folge von Südafrika unter der Bezeichnung Apartheid übernommen wurde. Anfang der 1970er Jahre geriet das Kaiserreich in eine schwere Krise. Die verarmten Bauern litten unter den Abgaben an die Großgrundbesitzer, das aufstrebende Bürgertum Addis Abebas sah sich in seinen politischen Entfaltungsmöglichkeiten eingeengt. Die Inflation in Folge der Dürrekatastrophe von 1973 und der Ölkrise löste in Äthiopien Massendemonstrationen von Studenten und Streikwellen aus. Schließlich revoltierten zu Beginn des Jahres 1974 ebenfalls Teile der äthiopischen Armee. Kaiser Haile Selassie wurde am 12. September 1974 gestürzt. Das Militär bemächtigte sich schnell der Revolution, ein Militärverwaltungsrat übernahm unter Führung von Major Mengistu Haile Mariam die Macht. 1975 wurde die Monarchie abgeschafft und das Land zu einer sozialistischen Volksrepublik.
Es folgten bald militärische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten. So wurde 1977/1978 mit Unterstützung der Sowjetunion und Kubas eine Invasion des von den USA unterstützten Somalia abgewehrt. Aufgrund der übermäßigen Repression gegen die Zivilbevölkerung erhielten eritreische Separatisten immer mehr Zuspruch.
1984 gelangte Äthiopien durch eine Reportage des BBC-Fernsehens in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Über Jahre ausbleibende Niederschläge in der Sahelzone führten in zwanzig afrikanischen Ländern zu Missernten und Hungersnöten. Auch wegen des anhaltenden Bürgerkrieges und der Einführung des Kommunismus durch Mengistu Haile Mariam war Äthiopien am schlimmsten von dieser Katastrophe betroffen. Die Hungersnot in Äthiopien 1984–1985 forderte insgesamt etwa eine Million Opfer.
1991 kollabierte das Regime schließlich. Unter der neuen Interimsregierung Meles Zenawis erlangte Eritrea im Mai 1993 nach fast dreißig Jahren Krieg die Unabhängigkeit. Grenzstreitigkeiten und vermutlich auch ökonomische Zwiste führten 1998 jedoch erneut zum Krieg der beiden Länder. Nach Bombardements der äthiopischen Luftwaffe auf die eritreische Hauptstadt Asmara und einer Invasion äthiopischer Bodentruppen zogen sich die äthiopischen Bodentruppen kurz vor Asmara stehend zurück. Somit ging aus dem Krieg keine Partei siegreich hervor. Der Konflikt wurde durch den Friedensvertrag von Algier im Dezember 2000 beendet, dem zufolge die Blauhelm-Soldaten der United Nations Mission in Ethiopia and Eritrea (UNMEE)[1] den (fragilen) Frieden überwachen. Am 13. April 2002 gab die unabhängige Grenzkommission eine endgültige Empfehlung zur Beilegung der Streitigkeiten ab (Eritrea Ethiopia Boundary Commission, EEBC)[2]. Ein Jahr nach der Bekanntmachung lehnte Äthiopien diese jedoch mit der Begründung ab, die Stadt Badme, die auslösender Streitpunkt des Krieges gewesen war, solle anders als von der Kommission vorgeschlagen auch weiterhin zu Äthiopien gehören. Seitdem herrscht zwischen beiden Kriegsparteien ein unruhiger Frieden, der sich jederzeit wieder in einen Krieg verwandeln kann.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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