Bulgarien  9.1 Wirtschaftsgeschichte
Bulgarien gehört zu den Ländern, die als Agrarstaat in den RGW („COMECON“) eingetreten sind und die ihre Industrialisierung diesem im Wesentlichen zu verdanken haben. Das bedeutete die Steigerung der energie- und rohstoffintensiven Schwerindustrie, von denen einige Bereiche (Pharmazeutika, Maschinenbau, Elektronik) durchaus erfolgreich in den ehemaligen Märkten agierten.
Nach dem Wegfall des Marktes der Sowjetunion, zu dem die meisten Beziehungen bestanden, geriet die Wirtschaft in eine schwere Krise, aus der sie sich bis heute nicht erholt hat. In den Jahren 1989 bis 1995 gingen die Realeinkommen um fast 70 Prozent zurück, der Lebensstandard fiel um 40%. Das Sozialsystem, insbesondere das System der Kranken- und Rentenversicherungen, brach weitgehend zusammen.
Die sozialistische Regierung unter Schan Widenow schaffte hier keine Abhilfe, sondern bediente die Interessen der ehemaligen Nomenklatura. Im Frühjahr 1996 kam es infolge der hohen Staatsverschuldung zu einer schweren Wirtschaftskrise. Banken brachen praktisch über Nacht zusammen, der Staat geriet in Zahlungsschwierigkeiten gegenüber seinen ausländischen Kreditgebern. In der Hoffnung auf Unterstützung von Weltbank und IWF verabschiedete die sozialistische Regierung ein Strukturprogramm. 134 marode Staatsbetriebe sollten geschlossen werden, durch Steuervergünstigungen versuchte man - vor allem ausländische - Investoren anzulocken. Doch die Privatisierung ging dem IWF zu langsam und er forderte als Bedingung für weitere Kredite die Einführung eines currency boards (Währungsrates) mit der Bindung des bulgarischen Lew an die D-Mark im Verhältnis 1:1.
Die Schaffung des Währungsrates 1997, die Konsolidierung der Staatsfinanzen (Budgetüberschuss 2005: 504 Millionen EUR, entspr. 2,4% des BIP), einschließlich der Reduzierung der Auslandsverschuldung (Staatsverschuldung im Dezember 2005 nur noch 25,5% des BIP), weitreichende strukturelle Reformen und die Privatisierung nahezu aller staatlichen Unternehmen in enger Zusammenarbeit mit Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank trugen zu makroökonomischer Stabilität bei. Mäßige Inflationsraten (2005: 6,5%) und relativ hohes BIP-Wachstum (2001 4,1%, 2002 4,9%, 2003 4,5% ,2004 5,7%, 2005 5,8%, 1.Halbjahr 2006 6,1%) kennzeichnen die Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre. Die Arbeitslosigkeit konnte erheblich gesenkt werden und lag Ende des Jahres 2005 bei ca. 10,7%. Begünstigt wird diese Entwicklung durch hohe Vorbeitrittshilfen der Europäischen Union. So standen 2004 insgesamt rund 400 Millionen EUR in den Programmen PHARE, ISPA und SAPARD zur Verfügung.
Im Vergleich mit dem BIP der EU ausgedrückt in Kaufkraftstandards erreicht Bulgarien einen Index von 33 (EU-25:100) (2005)und damit ist Bulgarien das ärmste Land in der EU (zum Vergleich: Deutschland: 108) [7]. Da die Regierung einen Großteil der in den Haushaltsjahren 2004 und 2005 entstandenen Überschüsse für Ausgleichsmaßnahmen verwendete, um die sozialen Folgen der zur Kostendeckung notwendigen Anpassung der Preise für Elektrizität, Wasser und Fernheizung aufzufangen und gleichzeitig die Transfereinkommen zusätzlich und überproportional erhöhte, sind die Realeinkommen auch der besonders Benachteiligten (Arbeitslose, Behinderte und Rentner) erstmals seit langem wieder gestiegen. Dennoch bleiben über 1 Million Menschen vom Wirtschaftsaufschwung Bulgariens weitgehend abgekoppelt.
Trotz Fortschritten bei der Justizreform stellt die Schwäche des bulgarischen Justizsystems weiter eines der größten Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung dar.
Wichtigste Wirtschaftszweige: Chemische Industrie, Nahrungsmittel und Nahrungsmittelverarbeitung, Tabakindustrie, Metallindustrie, Maschinenbau, Textilindustrie, Glas- und Porzellanindustrie, Kohleförderung, Stahlproduktion, Energiewirtschaft, Tourismus.
Die wichtigsten Aus- und Einfuhrgüter Bulgariens:
Ausfuhr: Chemische Produkte, Nahrungs- und Genussmittel, Rohmetall- und Stahlprodukte, Maschinen und Ausrüstungen, Konsumartikel, Textilprodukte, Elektrizität.
Einfuhr: Rohstoffe, mineralische Produkte und Brennstoffe (insbesondere Öl und Gas aus Russland), Maschinen und Ausrüstungen, chemische Erzeugnisse, Konsumgüter.
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Bulgariens. Über 4500 deutsche Firmen sind im Handel mit Bulgarien tätig, davon sind 1200 vor Ort vertreten. Das Handelsvolumen erreichte 2005 ca. 2,9 Milliarden EUR. Die deutschen Exporte nach Bulgarien beliefen sich auf 1,8 Milliarden EUR, die Importe aus Bulgarien auf 1,1 Milliarden EUR. Über die Hälfte entfiel auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Seit März 2004 besteht in Sofia die Deutsch-Bulgarische Industrie- und Handelskammer (BfAI), die bereits über 350 Mitglieder zählt.
Die ausländischen Direktinvestitionen erreichten 2005 1,876 Milliarden EUR, davon 3,6% (67,2 Millionen EUR) stammen aus Deutschland. Von den 11,496 Milliarden EUR, die die ausländische Firmen im Zeitraum 1991-2005 in Bulgarien investierten, stammen 908 Millionen EUR (7,9%) aus Deutschland und damit liegt Deutschland hinter Österreich und Griechenland auf Platz 3. Auch in den letzten fünf Jahren stiegen die deutschen Direktinvestitionen in Bulgarien kontinuierlich an, 2004 verdoppelten sie sich sogar gegenüber 2003. Von den 5,8 Milliarden Euro, die ausländische Firmen im Zeitraum 2000-2004 in Bulgarien investierten, stammen 496 Millionen, also 8,5%, aus Deutschland.
Der hohe Investitionsbedarf der bulgarischen Wirtschaft, der zusammen mit niedrigen Löhnen und gut ausgebildetem Personal viele Chancen für langfristig orientierte Investoren, insbesondere in lohnintensiven Fertigungsbereichen (Maschinenbau, Nahrungsmittelverarbeitung, Kfz-Teileherstellung, Textilproduktion, Softwareentwicklung etc.) bietet, wird jedoch trotz dieser Entwicklung noch einige Zeit fortbestehen. Gute Aussichten für Investitionen bestehen u.a. auch weiterhin im Tourismusbereich. Mehr als 582.000 Deutsche besuchten 2005 Bulgarien. Ausbaufähig erscheint besonders der Bereich Individualtourismus, insbesondere Öko-, Wander-, und Bädertourismus, aber auch der Wintersportbereich.
Das Investitionsklima für Ausländer ist im Wesentlichen gut, trotz erheblicher Defizite im Justizbereich. 2005 erreichte die Investitionsquote Bulgariens 22% des BIP (2004 21%). Anfang 2005 wurden die steuerlichen Bedingungen durch eine erneute Senkung der Körperschaftssteuer auf 15% und des Höchstsatzes der Einkommensteuer auf 24% verbessert.
Nach 1950 wurden die Industrialisierung und die Intensivierung der Landwirtschaft im Rahmen der Planwirtschaft betrieben, oft zu Lasten der Umwelt. Die Förderung vor allem der Schwerindustrie, des Energiesektors und des Bergbaus sowie der Einsatz veralteter Technologien verursachte erhöhte und zum Teil erhebliche Luft-, Boden-, und Wasserverschmutzungen.
Mit der Schließung vieler industrieller Produktionsstätten nach der Wende haben sich die Umweltbelastungen stetig verringert. Obwohl Bulgarien seit Mitte der 90er Jahre im Umweltbereich deutliche Fortschritte erzielt hat, sind nach Schätzungen der Weltbank für die Umsetzung des EU-Acquis im Umweltbereich bis zum Jahr 2020 Investitionen von rund 9 Milliarden EUR erforderlich. Jährlich müssten demnach Investitionen in Höhe von rund 11% des BIP getätigt werden. Der Umweltschutz wurde durch die Gründung des Umweltministeriums 1990 erstmals institutionalisiert und als Staatsziel in der bulgarischen Verfassung von 1991 (Art. 15) verankert. Im Umweltschutzgesetz vom September 2002 hat die bulgarische Regierung erstmals das Prinzip der Nachhaltigkeit gesetzlich festgeschrieben.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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