Ecuador  8.2 Aktuelle politische Situation
In der Praxis weist die politische Machtstruktur auf nationaler Ebene deutliche Elemente einer Konkordanzdemokratie auf: Die politische Macht im Lande muss ständig zwischen den beiden bedeutenden Großregionen Costa und Sierra mit ihren Zentren Guayaquil und Quito austariert werden. Bei Präsidentschaftswahlen nominieren alle Parteien, die sich Chancen auf den Wahlsieg ausrechnen, ein Gespann aus Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidat, von denen jeweils einer aus der einen, einer aus der anderen Großregion stammt. Der Einfluss der politischen Parteien ist jeweils ebenfalls weitgehend auf je eine Regionen beschränkt: Der christlich-soziale Partido Social Cristiano (PSC) und der populistische Partido Roldosista Ecuatoriano (PRE) sind die dominierenden Parteien in der Küstenregion. In der Andenregion dominieren die sozialdemokratische Izquierda Democrática (ID) und Pachakutik, die politische Bewegung der Indianerorganisation CONAIE. Seit den Wahlen von 2006 bilden zwei erst 2002 gegründete Parteien, der PRIAN des schwerreichen Unternehmers Álvaro Noboa und der Partido Sociedad Patriótica des 2005 entmachteten Präsidenten Lucio Gutiérrez die stärksten politischen Blöcke im Nationalkongress.
Die genannten „klassischen“ Parteien (PSC, PRE, ID) sind ebenso wie die beiden aufstrebenden stark auf einzelne Personen, nämlich die Ex-Präsidenten León Febres Cordero, Abdalá Bucaram und Rodrigo Borja bzw. Noboa und Gutiérrez zentriert. Borja allerdings zog sich 2005 offiziell aus der nationalen Politik zurück, Febres Cordero verzichtete Anfang 2007 aus Gesundheitsgründen auf sein Parlamentsmandat. Ein Sonderfall im ecuadorianischen Parteiengefüge ist Pachakutik, das vor allem in den ländlich geprägten Provinzen mit hohem Anteil indigener Bevölkerung gewählt wird und bestrebt ist, im Sinne der Organisation indigener Dorfgemeinschaften das Macht- und Entscheidungsvolumen einzelner Personen zugunsten der Allgemeinheit in der Partei zu beschneiden. Neben den genannten Parteien gibt es eine Vielzahl weiterer politischer Vereinigungen.
Das politische Leben auf nationaler Ebene ist von starker Instabilität geprägt, im Nationalkongress bilden sich selten stabile Koalitionen, Gesetze werden vielfach nach ausgiebigen Verhandlungen zwischen einzelnen Regierungs- und Oppositionsparteien verabschiedet. Die Parteien und Parlamente genießen in Ecuador aufgrund der häufig notwendigen Zugeständnisse und ständigen Verhandlungen zwischen den Parteien und einzelnen Abgeordneten ein relativ geringes Ansehen, da es häufig zu „Paketlösungen“ unter Verdacht individueller Bereicherung und zu öffentlichen Diffamierungen kommt.
Das Wahlrecht hat zudem zuletzt dazu geführt, dass Ex-Präsident Lucio Gutiérrez für eine Partei ins Amt gewählt wurde, die neu gegründet war und weder Erfahrung in der Parlamentsarbeit noch eine bedeutende Repräsentanz im Parlament hatte, was das politische Leben zusätzlich destabilisierte und letztlich zu Gutiérrez' Sturz beitrug. Auch sein Nachfolger, der ehemalige Vizepräsident Alfredo Palacio hat keine gefestigte eigene Parlamentsmehrheit. Dessen Nachfolger, der im November 2006 gewählte Präsident Rafael Correa gewann gar die Wahlen, ohne dass seine politische Bewegung Movimiento PAÍS Kandidaten bei den Parlamentswahlen aufstellte.
Das Militär hat ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Politik, zum einen durch die Präsenz ehemaliger Militärs in Führungspositionen, zum anderen dadurch, dass es dem regierenden Präsidenten bei Protesten und Aufständen die Unterstützung entziehen kann, wie es in den Fällen der gestürzten Jamil Mahuad (2001) und Lucio Gutiérrez (2005) geschehen ist.
Die derzeitige Verfassung, die 1998 erlassen wurde, ist bereits die 19. in der 175-jährigen Geschichte des Landes und war die fünfte im 20. Jahrhundert. Am 15. April 2007 entschieden die ecuadorianischen Wähler in einer Volksabstimmung mit 81,7% der Stimmen, dass eine neue verfassunggebende Versammlung einberufen werden soll, die Mitte 2007 ihre Arbeit aufnehmen soll.
Die letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fanden im Oktober und November 2006 statt (siehe Wahlen in Ecuador 2006). Regionalwahlen wurden zuletzt im Oktober 2004 abgehalten.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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