Finnland  6.4 Außen- und Verteidigungspolitik
Die finnische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nachhaltig von der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges geprägt. In der kollektiven Erinnerung ist die Ansicht tief verwurzelt, dass auf Verbündete kein Verlass sei und die Landesverteidigung im Kriegsfall aus eigener Kraft gewährleistet sein sollte.[42] Die Verteidigungspolitik Finnlands ist auf eine „totale Verteidigung“ (kokonaismaanpuolustus)[43] der staatlichen Souveränität, territorialen Integrität und demokratischen Verfassung des Landes ausgerichtet.
Im Kalten Krieg war Finnland bemüht, gute Beziehungen zur Sowjetunion zu unterhalten, den mächtigen Nachbarn und vormaligen Kriegsgegner aber gleichzeitig auf Abstand zu halten. So schlossen die beiden Staaten 1948 einen „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ ab, doch wusste Finnland die darin vorgesehenen Gipfeltreffen immer wieder zu vertagen. Das Bemühen, im Zuge der fortschreitenden Blockbildung die Neutralität zu wahren, bestimmte die finnische Außenpolitik ab den 1950er Jahren und wird nach den Staatspräsidenten dieser Zeit als Paasikivi-Kekkonen-Linie bezeichnet. Zwar war Finnland durch die stete Rücksichtnahme auf die Interessen Moskaus in seiner außenpolitischen Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt, konnte die Wehrfähigkeit des Staates jedoch wahren.
Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges hält Finnland an der Allianzfreiheit fest, doch ist die Doktrin der strikten Neutralität einer aktiven Westpolitik gewichen.[44] So kooperiert Finnland seit 1994 im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden und seit 1997 als Mitglied des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats mit der NATO. Finnische Soldaten sind derzeit für die von der NATO geführten Sicherungstruppen im Kosovo (KFOR) und Afghanistan (ISAF) im Einsatz. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 und dem Bekenntnis zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik trat das Land zwar keinem eigentlichen Militärbündnis bei, stellte aber dennoch seine Sicherheitspolitik und damit auch seine Streitkräfte in den Dienst supranationaler Interessen. Zum 1. Januar 2006 werden erstmals finnische Soldaten an einem Kampfverband der EU teilnehmen und für Einsätze im Sinne der Petersberg-Aufgaben bereit stehen.
Die Möglichkeit eines NATO-Beitritts ist eines der umstrittensten Themen in der finnischen Öffentlichkeit. Die gegenwärtige Präsidentin Tarja Halonen sieht in dieser Frage keinen Handlungsbedarf, eine Mehrheit der Finnen steht einer NATO-Mitgliedschaft derzeit ablehnend gegenüber. Gegner der Mitgliedschaft berufen sich vor allem auf der bewährte Neutralitätspolitik und bevorzugen die Zusammenarbeit innerhalb der EU, während Befürworter die Verteidigungsinteressen Finnlands insbesondere mit Blick auf das instabile Russland betonen.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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