Irak  4.6 Invasion der USA und Verbündeter
Im März und April 2003 begannen die USA und Großbritannien, sowie kleine Verbände Australiens, Italiens, Spaniens, Polens und militärisch unerheblicher Alliierter (Dänemark, Ukraine, Bulgarien, Honduras, El Salvador, Südkorea, Japan, Ungarn) den dritten Golfkrieg gegen den Irak, mit dem Ziel, Saddam Hussein zu stürzen und vermeintliche Massenvernichtungswaffen ausfindig zu machen. Ein entsprechendes Bedrohungsszenario hatten die Geheimdienste der USA und Großbritanniens entworfen; dass dies auf Druck der jeweiligen Regierung zur Legitimierung einer Invasion geschah, bleibt bestritten. Den Versuch, hierfür ein Mandat des UN-Sicherheitsrates zu erhalten, hatten die USA wegen des großen diplomatischen Widerstandes und vor einer sich abzeichnenden Abstimmungsniederlage abgebrochen. Die Iraq-Survey-Group-Kommission kam in ihrem Endbericht September 2004 zu dem Schluss, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gab. Damit fiel einer der von der US-Regierung offiziell genannten Kriegsgründe weg. Dass Saddam Hussein auch keine Beziehungen zum Terroranschlag des 11. Septembers 2001 in den USA hatte, war schon vorher klar geworden. Statt der Massenvernichtungswaffen hat man aber Massengräber gefunden: Seit Machtantritt der 2003 von US-Truppen gestürzten Baʿth-Partei gelten bis zu 1,3 Millionen Iraker als vermisst [8]. Bisher wurden circa 300 Massengräber im Irak lokalisiert. Es existiert bislang jedoch kein zivilrechtlicher Rahmen für die Untersuchung der Gräber. Forensische Ausgrabungen werden seit August 2004 vom US-geführten Regime Crimes Liaison Office (RCLO) durchgeführt, das direkt dem Iraqi Special Tribunal (IST) zuarbeitet. Im Mai 2006 wurde ein Gesetz zum Schutz der Massengräber vom irakischen Parlament ratifiziert. Derzeit arbeiten irakische Regierungsorgane und NGOs in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen an der Einrichtung des „National Center for Missing and Disappeared Persons“. Dieses Zentrum hat die Aufgabe, dem dringenden Bedürfnis der irakischen Bevölkerung nach der Klärung des Schicksals der vermissten Personen nachzukommen und die legalen, personellen und technischen Voraussetzungen für die Untersuchungen der Massengräber im Irak zu schaffen. Die individuelle Identifizierung der Opfer aus Massengräbern wird dabei im Vordergrund stehen, sowie die Bearbeitung der rezenten Fälle von nicht-identifizierten Opfern der Terroranschläge und Kampfhandlungen seit 2003.
Die Anzahl der Opfer der Invasion ist stark umstritten in Bezug auf Zählweise, Verantwortung und Einbeziehung Opfer krimineller Straftaten. Verifizierbar sind laut iraqbodycount mindestens 62.000 [9] zivile Opfer der militärischen Intervention. Eine Studie des Wissenschaftsmagazins The Lancet geht sogar von bis zu 100.000 zivilen Opfern aus. Nach Angaben der USA wurden rund 1.000 Zivilisten durch alliiertes Feuer sowie etwa 7.000 Widerstandskämpfer und Terroristen getötet. Schätzungen unabhängiger Beobachter zufolge kamen bis zu 10.000 Iraker bei dem Angriff durch die USA ums Leben. Weitere 20.000 Tote werden neben dem regulärem Widerstand mehrheitlich Terrorangriffen verschiedener Gruppierungen zugeschrieben. Nach einer im Oktober 2006 veröffentlichten Studie wurden seit der Invasion der ausländischen Truppen im März 2003 über 650.000 Menschen getötet, was 2,5 % der irakischen Gesamtbevölkerung entspricht. [10] Als Folge von Kriegsschrott steigt besonders in den südlichen Provinzen die Anzahl der Krebsfälle. Nach Angaben der medizinischen Hochschule von Basra sind mindestens 45 Prozent aller Todesfälle in den südlichen Provinzen auf Krebs zurückzuführen. In den Provinzen Basra und Missan sei die Leukämierate bei Kindern im Vergleich zum Jahr 2005 um 22 Prozent gestiegen, manche Babys entwickelten die Krankheit schon vier Wochen nach der Geburt. Täglich kämen in den südlichen Provinzen mindestens drei verkrüppelte Kinder zur Welt, denen Organe oder Glieder fehlten.[11]
Im Mai 2003 erklärte US-Präsident Bush die größeren Kampfhandlungen für beendet. Seitdem sind erheblich mehr US-Soldaten − bisher 2900 − durch Anschläge, sowohl von Widerstandsgruppen wie auch von islamistischen Terroristen, umgekommen als durch die Kriegshandlungen zuvor; täglich sterben durchschnittlich zwei US-Soldaten bei Angriffen aus dem Hinterhalt, die Zahl der Verwundeten liegt noch erheblich höher. Zahlreiche Opfer forderten die Angriffe auch unter der Zivilbevölkerung. Auch Vertretern der mehrheitlich von Schiiten und Kurden getragenen irakischen Regierung wurden wiederholt zum Ziel von Anschlägen. Schätzungen zufolge sind zwischen 25.000 und 30.000 Iraker seit Mai 2003 – dem „Ende der großen Kampfhandlungen“ – ums Leben gekommen. Einige irakische Quellen gehen sogar von bis zu 60.000 Opfern aus. Etwa 3500 Irakische Sicherheitskräfte wurden seit 2003 getötet.
Al Qaida verfolgt anscheinend die Strategie, einen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu provozieren, um so zu verhindern, dass der Irak eine staatliche Ordnung findet. Todesschwadronen greifen gezielt Anhänger der gegnerischen Religionsgruppe an. Als wichtigster Kopf der irakischen Ansar al-Islam Organisation wurde seit 2003 der Jordanier Abu Musab az-Zarqawi angesehen (von US-amerikanischen Einheiten getötet am 7. Juni 2006). Die USA werfen Iran und Syrien vor, nichts gegen das Eindringen ausländischer Kämpfer zu tun. Die Situation wird zunehmend als an der Kippe zum Bürgerkrieg stehend betrachtet. Von Sunniten und Schiiten gegeneinander geführte Terrorangriffe und Gegenanschläge fordern fast schon täglich Dutzende Menschenleben. Pro Tag gibt es im Irak etwa 75–85 Anschläge, zeitweise lag die Zahl der täglichen Anschläge sogar über 120, an anderen Tagen jedoch auch „nur“ bei 50–60. Es wird vermutet, dass die Mehrheit der Aufständischen irakische Sunniten sind. Allerdings wird ein Teil der Anschläge auch von nichtirakischen (sunnitischen) Islamisten verübt und zum Teil auch von einigen schiitischen Extremisten.
Nach einer im Oktober 2005 veröffentlichten geheimen Umfrage der britischen Armee lehnen 82 Prozent der Iraker die Besatzung ab, 67 Prozent fühlen sich unsicherer durch die ausländischen Truppen, 72 Prozent haben kein Vertrauen in die Besatzungstruppen, 71 Prozent verfügen nicht über sauberes Wasser, bei 70 Prozent funktionieren die Abwasseranlagen nicht oder schlecht, 47 Prozent werden nicht ausreichend mit Strom versorgt und 40 Prozent der Südiraker sind arbeitslos.
Auch wenn die Bedrohung durch Saddam Hussein schon längst gelöst wurde, ziehen die amerikanischen Truppen nicht ab. Genau das hat zur Folge, dass sich viele Iraker zu Widerstandskämpfern ausbilden lassen und versuchen die amerikanischen Truppen aus dem Land zu vertreiben.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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