Niederlande  6.4 Gesellschaftspolitik
In den 1980er Jahren wurden eine permissive Politik eingeführt, die auf dem Prinzip des gedogens (Tolerierens) beruht: Etwas, das prinzipiell nicht unbedingt befürwortet wird, wird dennoch toleriert, da eine restriktive Politik schlimmere Folgen hätte. Paradebeispiele sind die Prostitution und der Drogenkonsum. Dennoch ist auch in den Niederlanden nicht "alles erlaubt", und es gibt durchaus eine heftige Diskussion über die Coffee Shops, in denen "weiche" Drogen quasi-legal verkauft und konsumiert werden können. Die Niederlande waren ferner der erste Staat, welcher die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglicht hat. Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die Tolerierung der aktiven Sterbehilfe, die vor allem von den beiden strengreligiösen Parteien kritisiert wird.
Zum gedogen gehörte auch die Ausländerpolitik, die unter dem Motto stand: Integration unter Beibehaltung der eigenen Kultur. Diese Politik ist Ende der 1990er Jahre wieder stark kritisiert worden, nicht nur von Politikern der Rechten. Bereits 2000 erregte der Hilferuf eines Utrechter Schuldirektors Aufsehen, der dazu riet, seine Schule besser gleich aufzulösen. Aufgrund des hohen Ausländeranteils könne kein Gymnasialzweig mehr eingerichtet werden, und die guten Schüler (sowohl "weiße" als auch ausländische) würden "fliehen". Direktor Sjamaar wurde entlassen, aber einige Jahre später kam es genauso, wie er vorhergesagt hatte. Zur gleichen Zeit warnte der sozialdemokratische Professor Paul Scheffer vor einem "multikulturellen Drama", das die größte Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens sei.[2]
Internationale Aufmerksamkeit erhielt der Fall Pim Fortuyn: Der Rechtspopulist hatte in den Umfragen zur Parlamentswahl 2002 große Stimmengewinne vorhergesagt bekommen, und tatsächlich wurde seine Partei - trotz der Ermordung Fortuyns kurz zuvor - aus dem Stand heraus zweitgrößte Kraft im Parlament. Am 2. November 2004 wurde auch der Filmemacher Theo van Gogh ermordet. Fortuyn und van Gogh hatten gemein, dass sie nicht zuletzt durch Kritik am Islam bekannt wurden, dass sie aber beide nicht den traditionellen Rechtsextremisten zugeordnet werden konnten, wie sie bereits in den 1980er Jahren in das niederländische Parlament gelangt waren. Allerdings wurde Fortuyn von einem verwirrten (niederländischen) Einzeltäter ermordet, van Gogh von einem islamistischen Extremisten.
Als Folge des Mordes an van Gogh wurden Brandanschläge auf Moscheen verübt, und es kam zu Hassbekundungen insbesondere gegen Ausländer muslimischer Religion, aber auch zu moslemischen Übergriffen auf Kirchen. Die Vorfälle lösten heftige Diskussionen über die Integration von Ausländern und über das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen aus. Große Bevölkerungsteile fordern seither eine rigorose Politik gegen gewalttätige Einwanderer und eine Änderung der als zu liberal empfundenen Einwanderungsgesetze. Mehrere Politiker stehen seither unter Polizeischutz, da sie weiterhin von radikalen Islamisten bedroht werden. International bekannt wurde auch die aus Somalia stammende Ayaan Hirsi Ali, die erst der Sozialdemokratie angehörte, dann aber - wegen der Islamfrage - Abgeordnete der rechtsliberalen VVD wurde.
Seit dem 15. März 2006 müssen Personen, die in die Niederlande einwandern wollen, einen Test absolvieren. Der Test enthält Fragen über Sprachkenntnisse, Kultur und einige weitere Themen. Der Test ist an 140 niederländischen Konsulaten in 14 Sprachen erhältlich und kostet 350 Euro zuzüglich 64 Euro für das Lernmaterial. Zudem wurde das Mindesteinwanderungsalter auf 21 angehoben.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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