Polen  5.6.1 Deutsch-Polnische Beziehungen
Wechselhafte deutsch-polnische Beziehungen reichen (mindestens) bis ins 10. Jh. zurück. Im Mittelalter - insbesondere nach der Entvölkerung weiter Teile Polens im Tatarensturm 1241 - kennzeichnete besonders, dass polnische Herrscher deutsche Bauern, Handwerker, Kaufleute, Künstler und Ordensleute einluden, in Polen zu siedeln. Neben der friedlichen Ostsiedlung spielte sich auch eine auf Eroberung polnischer Gebiete gerichtete Politik einzelner deutscher Staaten ab. Am bekanntesten ist der Konflikt zwischen dem Deutschen Orden und Polen um Pommerellen, in erster Linie ein Konflikt zwischen den jeweiligen Machthabern. In den Armeen des Deutschen Ordens kämpften auch polnische und litauische Söldner. Die Magistrate vieler damals mehrheitlich deutschsprachiger Städte - u. a. Graudenz und Thorn - unterstützten den polnischen König im Kampf gegen den Deutschen Orden. Unbeachtet dynastischer Territorialkonflikte waren "deutsch-polnische Beziehungen" (Nationalstaaten im heutigen Sinne kannte das Mittelalter nicht) nicht schlecht. Polen und Deutsche lebten in Städten und Dörfern friedlich miteinander. Polen-Litauen war die einzige europäische Großmacht, die nicht in die deutschen Religionskriege - insbesondere den Dreißigjährigen Krieg - eingriff. Das polnische Lehen Preußen erhielt sogar von König Sigismund I. (Polen) die Erlaubnis als erster Staat auf der Welt 1526 zum Protestantismus überzutreten. Die Hohenzollern, Habsburger und Wittelsbacher waren mit den polnischen Jagiellonen durch Eheschließungen verbunden. Mit der polnisch-sächsischen Personalunion 1696-1764 unter den Wettinern kamen viele Sachsen nach Warschau und Bamberger nach Posen.
Mit den von Preußen und Russland sowie auch von Österreich vorgenommenen Teilungen Polens und den napoleonischen Kriegen verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Brandenburg-Preußen und Polen. Gleichwohl verband viele deutsche und polnische Intellektuelle eine innige Freundschaft, z.B. die zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Adam Mickiewicz, sowie zwischen letzterem und Heinrich Heine. Auch viele, vor allem süddeutsche Liberale unterstützten im Vormärz den Freiheitskampf der Polen. Der Höhepunkt dieser Freundschaft war das Hambacher Fest 1832. Im Völkerfrühling 1848 kämpften polnische und deutsche Liberale gegen die metternichsche Restauration. Der Berliner Prozess gegen die "polnischen Verschwörer" war Mitauslöser der Märzereignisse in der preußischen Hauptstadt. Der Hauptangeklagte, Ludwik Mierosławski, befehligte 1848 den Posener Aufstand und leitete 1849 die Verteidigung der letzten Festung der Märzrevolution Rastatt in Baden.
Mit der von Bismarck eingeleiteten und vom Deutscher Ostmarkenverein fortgesetzten Politik des Kulturkampfes und der Germanisierung polnischer Gebiete wurde die deutsche Polenpolitik jedoch aggressiver. Die polnische Sprache wurde verboten und Polen von ihrem Land verwiesen. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zwischen Deutschland und Polen zu mehreren Grenzstreitigkeiten in Oberschlesien, Ostpreußen, Westpreußen und Danzig. Die polnische Regierung verfolgte gegenüber den deutschen Bevölkerungsteilen in den an Polen abgetretenen Gebieten eine restriktive Politik: 1925 wurde ein Großteil des deutschen Grundbesitzes enteignet, Polen wurde bei Landverkäufen durch Deutsche ein Vorkaufsrecht gewährt. Deutschsprachigen Gewerbetreibenden wurde z. T. die Gewerbekonzession entzogen. Etwa eine Million deutschsprachiger Staatsbürger emigrierten, vor allem aus den größeren Städten. Zur Zeit der Weimarer Republik gab es auch außenpolitische Bestrebungen, die auf Grenzänderungen gerichtet waren.
Den Tiefpunkt der deutsch-polnischen Beziehungen machte der Zweite Weltkrieg und die Vernichtungspolitik der deutschen Nationalsozialisten aus. Hitler strebte die Annexion Polens in das Deutsche Reich an. Die mit der von den Alliierten beschlossenen Westverschiebung Polens einhergehende Vertreibung der meisten Deutschen aus Schlesien, Pommern, Danzig und dem südlichen Ostpreußen verhärtete die Fronten im Kalten Krieg. Mit der Annäherung der deutschen und polnischen Kirchen und dem deutsch-polnischen Vertrag von 1970 begann sich diese Verhärtung zumindest bei einigen Teilen der Gesellschaften in der BRD und Polen zu lösen.
Nach 1989 entwickelten sich die deutsch-polnischen Beziehungen zunächst sehr positiv. Derzeit werden sie jedoch durch Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten über das von Erika Steinbach und anderen Persönlichkeiten geforderte Zentrums gegen Vertreibungen, die Entschädigungsansprüche der Preußischen Treuhand und des Baues der Nordeuropäischen Gasleitung überschattet. Der neue polnische Staatspräsident Lech Kaczynski wurde in Teilen der deutschen Presse kritisiert, er habe im Wahlkampf 2005 deutschfeindliche Ressentiments geschürt.
Am 30. April 2005 haben Bundespräsident Horst Köhler und sein polnischer Kollege Aleksander Kwasniewski offiziell das Deutsch-Polnische Jahr eröffnet. In dessen Rahmen sollen bis zum Frühjahr 2006 mehr als 1.000 Veranstaltungen in beiden Ländern stattfinden, darunter Ausstellungen, Konzerte, Theater- und Filmaufführungen sowie wissenschaftliche Tagungen. Einen besonderen Stellenwert sollen dabei Begegnungen von Jugendlichen aus beiden Ländern haben. Auch die Buchmesse Warschau, ein wichtiges Drehkreuz für Buchvermittlung aus westlichen in östliche Länder, hat 2006 Deutschland als Gastland auf 300 zusätzlichen Quadratmetern (18. - 21. Mai). Polen liegt als Abnehmer deutscher Lizenzen auf Platz drei.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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