China  7.1 Wirtschaftsgeschichte
Nachdem im Jahr 1949 die Volksrepublik China ausgerufen wurde, interessierte im Ausland vor allem die Frage, wie das Land wohl jemals seine riesige Bevölkerung ernähren wolle. Mehr als 50 Jahre später sieht sich die Welt einem Land gegenüber, das nicht nur seine Bevölkerung ernährt, die sich seither mehr als verdoppelt hat und zu den größten Exportnationen der Welt gehört. Die Wirtschaftspolitik unter Mao Zedong war von der Einführung einer Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild geprägt. Ein Plan sollte den Markt bei der Verteilung von Ressourcen und Investitionen ersetzen. Das Ziel war, eine schnellstmögliche Industrialisierung und höchstmögliches Wirtschaftswachstum zu erreichen. Dabei wurde die Planwirtschaft in einigen Bereichen entscheidend an die chinesischen Verhältnisse adaptiert. Zum einen sah sich China nicht in der Lage, genug planerische und administrative Kräfte aufzubringen, um eine Planwirtschaft nach streng sowjetischem Vorbild einzuführen. Anstelle dessen wurden bereits in den 1950er Jahren Maßnahmen zur Dezentralisierung getroffen und den Verantwortlichen auf Provinz- und Betriebsebene mehr Freiraum zur Umsetzung der Vorgaben gegeben. Zum anderen legte Mao großen Wert auf autarke Entwicklung. Nicht nur China, sondern auch einzelne Provinzen oder Regionen sollten sich selbst versorgen können. Dadurch isolierte sich das Land vom Rest der Welt gerade in einer Zeit, als andere Entwicklungsländer durch aktive Förderung der Integration in den Weltmarkt einen wirtschaftlichen Aufholprozess erfuhren.
Der dritte Unterschied zum sowjetischen Wirtschaftsmodell lag darin, dass Mao in der Wirtschaftsentwicklung auf Massenkampagnen setzte, etwa den Großen Sprung nach vorn oder die Kulturrevolution. Diese beiden vor allem politisch motivierten Bewegungen warfen das Land jedoch um viele Jahre zurück, Historiker schätzen heute, dass der Große Sprung nach vorn (1959-61) bis zu 30 Millionen Menschen das Leben gekostet hat: die meisten verhungerten, weil Maos Politik zu gewaltigen Missernten führte. Die Kulturrevolution (1966-1976) legte China für ein ganzes Jahrzehnt praktisch lahm: Schulen und Universitäten waren geschlossen, man hatte im maoistischen Slang „rot“ zu sein (also politisch korrekt) und kein „Experte“ (also technisch oder ökonomisch fähig).
Das wirtschaftliche Erbe Maos ist somit zwiespältig: Einerseits wuchs das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1952 und 1975 um jährlich durchschnittlich 6,7 %, die Möglichkeiten für Bildung (insbesondere für Frauen), medizinische Versorgung und soziale Sicherheit erreichten ein Niveau, das es in der Geschichte des Landes zuvor nie gegeben hatte und der Anteil der Industrie an der Wirtschaftskraft wurde von etwa 20 % 1952 auf 45 % 1975 gesteigert. Diese Erfolge beruhten jedoch größtenteils auf der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen, die Investitionen wurden zunehmend ineffizienter und das relativ hohe Wirtschaftswachstum konnte nur zu einem sehr geringen Anteil in höheren Konsum der Bevölkerung umgesetzt werden. Letzten Endes musste Mao sich auch selbst eingestehen, dass sich seine von utopischen Visionen geleitete Wirtschaftspolitik in einer Sackgasse befand. Er brachte in den frühen 1970er Jahren die wirtschaftlich pragmatischen Politiker Deng Xiaoping und Zhou Enlai zurück an die Macht, obwohl sie vorher schon in Ungnade gefallen waren.
Der Tod von Mao 1976 eröffnete die Möglichkeit zu Reformen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Fortsetzung der Wirtschaftspolitik, wie sie unter Mao gemacht wurde, noch lange möglich gewesen wäre. Deng Xiaoping ging die dringendsten Probleme daher zuerst an und erlaubte lokalen Parteiführern schrittweise, die Kollektivierung der Landwirtschaft zurückzunehmen. Die Bauern hatten von da an Eigentumsrechte an ihren Produkten, Landbesitz war jedoch weiterhin nicht möglich. Landwirtschaftliche Produkte wurden bald wieder auf den frei zugänglichen, ländlichen Märkten gehandelt. Ab Mitte der 1980er Jahre wurden auch nicht-staatliche Unternehmen in der Industrie zugelassen und die Staatsunternehmen mussten auf den sich entwickelnden Märkten mit Privatunternehmen konkurrieren.
Später wurde es ausländischen Unternehmen erlaubt, in China zu investieren und der Außenhandel wurde liberalisiert. Auch institutionelle Reformen an staatlichen Investitionen oder dem Steuersystem wurden notwendig. An den politischen Rahmenbedingungen wurde jedoch zunächst nichts geändert, weshalb das Wirtschaftssystem als Staatskommunismus oder offiziell als „sozialistische Wirtschaft chinesischer Prägung“ bezeichnet wurde. Im Jahre 1995 wies die Wirtschaft ein stabiles hohes Wachstum auf, das vorher isolierte Land war der siebentgrößte Teilnehmer am internationalen Handel, und die Lebensqualität wuchs schnell, wobei die Konsumausgaben der Haushalte zu konstanten Preissteigerungen um jährlich mehr als 7 % führten.
Seitdem stellt sich die Frage, wie lange die chinesische Wirtschaft noch in diesem Tempo wachsen kann. Mittlerweile gibt es in China kaum noch Marktsegmente, welche man leicht liberalisieren könnte, um damit ein schnelles und vor allem großes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Dazu gibt es einige wirtschaftliche Problemfelder, zu deren Lösung es schmerzhafter Einschnitte bedarf. Dazu gehören Staatsunternehmen, die nicht privatisiert wurden und die teils hohe Verluste machen. Diesen Staatsunternehmen werden durch die Staatsbanken immer neue Kredite zur Verfügung gestellt, um sie am Leben zu halten. Dadurch haben die dominierenden staatlichen Banken hohe Summen an faulen Krediten angehäuft, wodurch das Bankensystem illiquid geworden ist. Sollten die Bankkunden plötzlich in einem Bankensturm ihre Einlagen zurückverlangen, so könnten die Forderungen nicht bedient werden. Eine Reform des staatlichen Sektors wird von der Regierung der Volksrepublik aber nur sehr zögerlich angegangen, denn es ist zu befürchten, dass eine Schließung von unrentablen Staatsunternehmen zu einer stark steigenden Arbeitslosigkeit in den Städten führen würde.
Die heutige Phase wird angesichts des zunehmenden Gewichts der Privatwirtschaft in China von ausländischen Wirtschaftsführern und Politikern oft als Chinas Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft bezeichnet. Chinaexperten wie der deutsche Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann weisen jedoch darauf hin, dass in China keineswegs die freie Marktwirtschaft regiert, vielmehr sprechen sie von einem autoritären „Kader-Kapitalismus“: Wirtschaftlich erfolgreich sind meist Unternehmer mit guten Beziehungen zu den Mächtigen, Korruption ist ein großes Problem. Trotzdem erreichte das Land wirtschaftlich auch im Jahre 2006 eine Wachstumsrate von 10,7 %, überholte mit einem Bruttoinlandsprodukt von 2680 Milliarden US-Dollar Frankreich und Großbritannien und stieg damit zur viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt auf. China gehört somit nach wie vor zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt. Das BIP pro Kopf errechnet sich zu 2042 US-Dollar und wird vermutlich im Jahre 2010 auf 3000 US-Dollar ansteigen. Für 2007 wird ein Wachstum von 10 %.
Der Außenhandel entwickelt sich stürmisch, jedoch ist der Handelsüberschuss 2005 auf 101,9 Milliarden Dollar gestiegen und dabei sind die Exporte wesentlich stärker als die Importe gestiegen. Die Devisenreserven betragen nun 818,9 Milliarden Dollar, womit China nach Japan die zweitgrößten Reserven der Welt besitzt.
Trotz des staatlich geförderten marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems hat die KPCh ihr Ziel, den Kommunismus als alle Lebensbereiche (einschließlich auch das Wirtschaftssystem) umfassende Gesellschaftsordnung, nie aufgegeben. Das gegenwärtige marktwirtschaftliche System wird vom politischen Machtapparat lediglich als unvermeidliche Übergangsordnung betrachtet. Der Kommunismus, so die Doktrin, kann nur über den Kapitalismus, dem in einer nächsten Phase die Vergesellschaftlichung des Kapitals folgen wird, erreicht werden. In den Kaderschulen der kommunistischen Partei wird diese „unausweichliche“ Dialektik gelehrt. Angesichts der gegenwärtigen Erfolge der chinesischen Wirtschaft wird der Übergangscharakter der geltenden Ordnung möglicherweise zu wenig zur Kenntnis genommen, vor allem auch von Seiten der westlichen Investoren. Die heutige chinesische Vorstellung von Kommunismus unterscheidet sich allerdings grundlegend von der Vorstellung von Karl Marx vor 150 Jahren.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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