Bulgarien  5.6 Die jüngere Vergangenheit
Die glänzenden Erfolge der bulgarischen Truppen im 1. Balkankrieg (Eroberung von Adrianopel) wiederholten sich im 2. Balkankrieg nicht. Während die bulgarische Streitmacht an der griechischen und serbischen Front gebunden war, drangen die Rumänen bis nach Sofia vor, die Türken eroberten Adrianopel wieder zurück.
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg kämpfte Bulgarien auf der Seite der Mittel- und Achsenmächte.
Für Bulgarien waren die Folgen des Ersten Weltkriegs verheerend. Handel, Industrie und Landwirtschaft existierten fast nicht mehr. Die Landwirtschaft verfügte nicht einmal mehr über Saatgetreide. In der Industrie herrschte Mangel an Rohstoffen und Energie. Dem Handel fehlten die Transportmittel, die im Krieg eingesetzt und vernichtet waren. Die Preise stiegen enorm. Ein anderer Grund für die schwierige Lage war der Frieden von Neuilly (Pariser Vorort). Durch ihn verlor Bulgarien nicht nur alle im Weltkrieg errungenen Gebietsgewinne, sondern auch seine fortschrittlichsten und wirtschaftlich wichtigsten Provinzen.
Darunter kamen Caribrod und Strumiza an das neu gegründete „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, den Zugang zur Ägäis zwischen Mesta und Mariza mit dem Hafen Dedeagac (griech. Alexandroupolis) an die Alliierten, die es in San Remo im April 1920 an Griechenland gaben, Teile der südlichen Dobrudscha fielen an Rumänien. Insgesamt verlor Bulgarien 8% seiner Vorkriegsfläche oder rd. 10.750 km². Außerdem musste Bulgarien Reparationen in Höhe von 2,25 Milliarden Goldfrancs zahlen. Die Verwaltung und Verteilung der Finanzen wurden von einer alliierten Kontrollkommission überwacht. Dies alles führte zu einer Reihe ausgedehnter Streiks; allein für das Jahr 1919 sind 150 bekannt.
In der Zeit von 1918 bis Oktober 1919 gab es zwei Regierungen. Die erste hoffte durch Waffenstillstand am 29. September 1918 und Thronwechsel am 3. Oktober (König Ferdinand von Sachsen-Coburg und Gotha dankte zugunsten seines ältesten Sohnes Boris III. (1918-1943) ab) auf bessere Friedensbedingungen.
Die zweite wollte Bulgarien durch eine große Koalition von November 1918 bis Oktober 1919 retten, die Regierung Stambolijski (1919-1923). Die seit Oktober 1919 im Amt befindliche Regierung des Bauernvolksbundes unter Alexandar Stambolijski wollte Bulgarien aus seiner Isolation herausführen, aber der einzige Erfolg in diese Richtung war die Aufnahme Bulgariens in den Völkerbund (1920).
Stambolijski wollte eine Föderation von Staaten schaffen, die von Agrariern geführt wird. Da 80% der bulgarischen Bevölkerung Bauern waren, versuchte er zwischen 1920 und 1923, die bulgarischen Bauern und ihre politische Organisation zum entscheidenden Träger der politisch-demokratischen, wirtschaftlich-sozialen und geistig-kulturellen Entwicklung des Landes zu machen. Allerdings war seine Innenpolitik zu radikal. Es gab Pressezensur und ein Verbot für Staatsbedienstete, an Demonstrationen teilzunehmen. Seine „Orange Garde“, eine Art Bauernmiliz wurde als Zeichen seiner Schreckensherrschaft angesehen.
Die begonnene Agrarreform stieß auf den Widerstand kapitalistischer Kreise, seine Pläne zur „Erziehung der bulgarischen bäuerlichen Bevölkerung und zur Umgestaltung des bulgarischen Dorfes“ erzeugten Misstrauen und Ablehnung. In der Bodenreform wurde aller Grundbesitz über 30ha aufgeteilt, eine Einzelperson sollte 1ha, eine Familie 10ha bearbeiten nach dem Grundsatz, dass das Land dem gehören sollte, der es bearbeitet.
Mit dem Gesetz über die Arbeitspflicht vom 14. Juni 1920 wurde erstmals eine Art Arbeitsdienst eingerichtet. Männer über 20 und Frauen über 16 sollten zu Arbeiten in allen Zweigen der Volkswirtschaft für 12 bzw. 6 Monate herangezogen werden. Ausgenommen waren verheiratete und muslimische Frauen sowie jene Männer, die den freiwilligen 12jährigen Wehrdienst ableisteten. Bei Naturkatastrophen und nationalem Notstand konnten Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren bis zu vier Wochen dienstverpflichtet werden.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
GNU-Lizenz für freie Dokumentation