Bulgarien  5.6.1 Das Regierung der „Demokratischen Eintracht“ (1923–1926)
In verschiedenen Kreisen wuchs der Unmut über die Politik des „Bauernbundes“. Politische Kräfte aller Seiten schlossen sich zusammen und in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni 1923 fand unter dem Kommando des Hauptmanns Iwan Walkow und des rechtsorientierten Politikers Professor Alexandar Zankow ein Putsch gegen Stambolijski statt. Nur die Kommunistische Partei blieb neutral. Die „Orange Garde“ wurde bekämpft. Alexandar Stambolijski geriet am 14. Juni in Gefangenschaft und wurde schließlich von Mitgliedern der IMRO (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation) ermordet. Viele Anhänger des Bauernbundes wurden mit ihm ohne Urteil beseitigt.
Die neue Regierung unter Aleksandar Zankow verfolgte auch die Kommunisten und ließ 2500 von ihnen am 12. September 1923 ins Gefängnis werfen. Obwohl Stambolijski auch gegen die Kommunisten vorgegangen war, wurde seine Regierung doch von diesen als Wegbereiter für den Kommunismus angesehen. Aus diesem Grund und weil die „Bulgarische Kommunistische Partei“ unter dem Druck Moskaus (genauer der Kommunistischen Internationale) geriet, wurde mit der Unterstützung Stambolijskis Anhänger versucht, mit einem Aufstand am 23. September die „Fehler“ vom 9. Juni wieder gut zu machen.
Führer dieses Aufstands waren Wasil Kolarow und Georgi Dimitrow. Diese verspätete Auflehnung wurde in nur wenigen Tagen mit mehr als 20.000 Opfern und einem Sieg der Armee blutig beendet. Die Regierung formierte einen Block „Demokratische Eintracht“ (Demokraticeski sgovor), indem sie versuchte, aus allen Parteien Politiker an sich zu binden. Es sollte eine „Vereinigung verwandter Parteien“ entstehen. Kaum war das passiert, begann eine Differenzierung in die sogenannten Flügel („Stämme“). Der eine gruppierte sich um Zankow, die anderen folgten den gemäßigten Andrei Ljaptschew von den Demokraten und Atanas Burow von der Vereinigten Nationalprogressiven Partei.
Im März 1925 hatte die Regierung Zankow ein Gesetz zum Schutze des Staates herausgebracht, das sich eindeutig gegen die Kommunisten richtete. Daraus folgte am 16. April 1925 ein Bombenanschlag auf die Kirche Heilige Nedelja, bei dem mehr als 150 Menschen ums Leben kamen. Dieser wurde von der Kommunistischen Partei verübt. Zar Boris III, dem dieser Anschlag gegolten hatte, war zufälligerweise nicht anwesend. Scharfe Maßnahmen waren die Folge dieses Anschlags. Es galt von April bis Oktober 1925 der Ausnahmezustand. Die bisherigen Sympathien für den Kommunismus wurden dadurch erheblich vermindert. Auch der seit 1923 oppositionelle Bauernbund erklärte seine Ablehnung des Terrors und der Komintern.
Außenpolitik der Regierung
Die Regierung Zankow konnte, genau wie vorher Stambolijski, keinen entscheidenden Durchbruch erreichen. Das Verhältnis zu Rumänien war erträglich, mit Griechenland wurde eine Minderheitenvereinbarung unterschrieben (30. Dezember 1924), ein Freundschaftsvertrag mit der Türkei (18. Oktober 1925); die Reisen nach Rom, London und Paris hatten dagegen nicht viel gebracht. Mit Jugoslawien wurden die Beziehungen durch verstärkte mazedonische Bandentätigkeit verhindert. Die Hoffnungen auf eine Grenzrevision in Thrakien wurden auf der Konferenz von Lausanne enttäuscht. In der Frage der Militärbeschränkungen erreichte Zankow lediglich die Erlaubnis zur zeitwilligen Einberufung von 3000 Reservisten und dann weiterer 10.000 Freiwilligen zur Bekämpfung kommunistischer Unruhen und IMRO-Bandentätigkeit.
Die Gewährung der zur wirtschaftlichen Gesundung des Landes dringend benötigten Anleihen machte man in London und Paris von einer innenpolitischen Stabilisierung Bulgariens abhängig. Die Wirtschaft in diesen Jahren näherte sich allmählich wieder dem Vorkriegsniveau. Neue Felder und Weiden wurden erschlossen, Sümpfe trockengelegt, ertragreichere Pflanzen und neue Terrassen eingeführt. Tabak, Baumwolle, Zuckerrüben und Sonnenblumen waren die wichtigsten Ausfuhrgüter. In der Industrie taten sich neue Produktionszweige auf: Kautschuk, Glas und Porzellan. Ein weiteres Problem, das die innere Unruhe verstärkte, war die Flüchtlingswelle aus der Dobrudscha, Mazedonien und Trakien mit über 250.000 Flüchtlingen in den Jahren 1919 bis 1925. Den für den Handel sehr wichtigen Zugang zur Ägäis, den Bulgarien nach Art. 48 von Neuilly bekommen musste, hat es nie erhalten. Das nächste Kapitel in der bulgarischen Geschichte wurde als „Die Zeit der wirklichen Demokratie“ bezeichnet.

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