Bulgarien  5.6.3 Balkanpakt und 1930er Jahre
Am 9. Februar 1934 schlossen die Türkei, Griechenland, Jugoslawien und Rumänien den Balkanpakt, der sich in Artikel 8 ausdrücklich gegen die bulgarischen Revisionsbestrebungen richtete und dadurch die Isolierung Bulgariens bekräftigte. Die Missstimmung wuchs. Am 19. Mai 1934 putschten Mitglieder der Militärliga und der Gruppe „Zveno“ (Kettenglied). Am 30. Mai 1934, also nach dem Putsch, löste sich das „Zveno“ selbst auf, um dadurch das Vorgehen der Regierung Kimon Georgiew gegen die anderen Parteien zu erleichtern.
Die Regierung Georgiew sorgte in kurzer Zeit für tiefgreifende Änderungen und setzte Teile der seit 1879 gültigen Verfassung von Tarnowo außer Kraft. Vor allem wurden große Sparmaßnahmen in der Verwaltung durchgeführt. Die Zahl der Gemeinden wurde von 2.500 auf 800 verringert und der Beamtenapparat verkleinert. Am 12. Juni 1934 wurde das Parlament und die Parteien aufgelöst, und Pressenzensur eingeführt. Die lokale Selbstverwaltung wurde durch eine zentrale Administration ersetzt. Die autonomen, parteilich orientierten Gewerkschaften gerieten unter staatliche Kontrolle.
Die neue Führung fand Zustimmung in Deutschland und Italien und wurde von England, Frankreich und der bulgarischen Bevölkerung kritisiert. Die ersten außenpolitischen Schritte gingen in Richtung Jugoslawien. Noch in den ersten Tagen nach dem Putsch ließ die Regierung die Mazedonier-Organisation auflösen, deren Eigentum konfiszieren und deren Mitglieder internieren. Die positive Wirkung auf Belgrad zeigte sich am 24. Mai 1934 durch einen Handelsvertrag (seit 30 Jahren war kein Vertrag mit Jugoslawien mehr geschlossen worden).
Ein anderer Punkt war die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und Bulgarien. Es wurden eine gemeinsame Handelskammer und eine bulgarisch-sowjetische Gesellschaft gegründet. Trotz vielversprechender Ansätze in der Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik gelang es dem Staat nicht, die bisher bestimmenden politischen Kräfte zu integrieren. Am 22. Januar 1935 musste Kimon Georgiew sein Amt aufgeben. In den folgenden Monaten wurde der Militärbund schrittweise entmachtet und am 3. März 1936 aufgelöst. Gestützt auf royalistische Offiziere erlangte Zar Boris III. die volle Macht.
Die folgenden Jahre standen im Zeichen der Stabilisierung der Königsdiktatur, der Bekräftigung einer unabhängigen Außenpolitik und einer verstärkten wirtschaftlichen Kooperation mit Deutschland. Im Unterschied zu anderen, im Europa der dreißig Jahre entstandenen diktatorischen Regimes trug dieses noch vergleichs- und zeitweise demokratische Züge. König Boris III. setzte die 1934 weitgehend aufgehobene Verfassung wieder in Kraft. Organisationen und Parteien, die rechtsradikal waren, wurden aufgelöst.
An der Spitze der Regierung war bis November 1935 Andrei Toschew und danach bis zum 15. Februar 1940 Georgi Kjoseiwanow, der ein Vertrauter des Zaren war. In seiner Amtszeit bildete Kjoseivanow die Regierung acht Mal um, ein Zeichen für das Fehlen einer leitenden Idee und einer die Regierung tragenden politischen Kraft. Der Staat stützte sich nicht auf bestimmte Parteien, sondern einigte einige Elemente der parlamentarischen Demokratie mit der Königsdiktatur. Im März 1937 ließ Kjoseiwanow Kommunalwahlen, ein Jahr später Parlamentswahlen durchführen, bei denen die Kandidaten bei fortbestehendem Parteienverbot nicht als Repräsentanten von Parteien, sondern lediglich als Einzelpersonen auftreten durften. Auch die Regierung organisierte ihre Anhänger nicht in einer festen Partei. Bei der Parlamentseröffnung im Mai 1938 erklärten sich von 170 Abgeordnete 106 für die Regierung und 64 gegen sie.
In ihrer Außenpolitik versuchte die Regierung eine Aufhebung der Neuillyer Militärklauseln. Sie erreichte am 31. Juli 1938 ein Abkommen mit Griechenland über die Aufhebung der Rüstungsbeschränkungen und die Erlaubnis zur Wiederbesetzung der entmilitarisieren Zone an der trakischen Grenze. Ein Jahr zuvor, am 24. Januar 1937, war der bulgarisch-jugoslawische Freundschafts- und Nichtangriffspakt ratifiziert worden.
Auf handelspolitischem Gebiet war Bulgarien sehr von Deutschland abhängig. Der bulgarische Export nach Deutschland betrug im Jahr 1937 47,1% und stieg auf 58,9% im Jahr 1938 und 1939 auf 67,8% der bulgarischen Gesamtausfuhr. Der Import stieg von 58,2 % im Jahr 1937 und 52,0% im Jahr 1938 auf 65,5% der bulgarischen Gesamteinfuhr. Das Gesamtvolumen des bulgarischen Handels mit Deutschland war 1930 rund 2,5 Milliarden Lewa und stieg 1939 bis auf Dreifache, nämlich rd. 7,5 Milliarden Lewa, mit einer positiven Handelsbilanz für Bulgarien. In den Kriegsjahren 1941-1944 erreichte Deutschland sogar einen Anteil von 79% des Imports und 73% des Exports Bulgariens. Obwohl Bulgarien so sehr wirtschaftlich von Deutschland abhängig war, wurde eine engere politische Bindung an Deutschland von Boris III. vermieden.
Die politische und staatliche, wirtschaftliche und soziale, rechtliche und kulturelle Entwicklung des Königreiches/Zarentums Bulgarien zwischen dem Ende des Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges bewegte sich zwischen gescheiterten Versuchen, eine demokratisch- parlamentarische Ordnung herzustellen, und mehrfachen Katastrophen, Umbrüchen und Staatsstreichen, als deren Folge verschiedene Formen von Diktatur und schließlich die des Königs Boris III. entstanden.
Außenpolitisch befand sich Bulgarien 1919-1934 in weitgehender Isolierung, weil es Revisionsforderungen gegenüber allen Nachbarländer mit Ausnahme der Türkei hatte. Allerdings betrieben die bulgarischen Regierungen in diesem Zeitraum keine einheitliche revisionistische Außenpolitik. Die Regierung von Stambolijski wollte eine großsüdslawische Föderation von Staaten schaffen. Die bulgarische Politik der 30er Jahre sah sich vor drei Aufgaben gestellt. Es galt, die außenpolitische Isolation zu überwinden, durch Verständigung mit den Nachbarn sowie mit Billigung der Großmächte den Vertrag von Neuilly zu revidieren, und die verlorenen Gebiete wiederzugewinnen.
Aber die Gebietsverluste hatten Spannungen und Probleme mit Griechenland, Jugoslawien und Rumänien gebracht, die sich nur sehr schwer mindern ließen. Die mazedonische Frage bildete, durch die ständigen Attentate, ein kaum lösbares Dauerproblem. Von geringerem Gewicht war die Bulgarien von Rumänien trennende Dobrudschafrage. Innenpolitisch und wirtschaftlich hat sich die Lage in diesen Jahren nicht sehr verändert. Da es in Bulgarien keine große soziale Differenzierung gab, weder einen Grund besitzenden Adel noch ein Besitzbürgertum größeren Umfangs, spielten wie in den Jahren der Staatsbildung Offizierskorps und Beamtenschaft eine entscheidende Rolle.
Das völlige Überwiegen der Landbevölkerung änderte sich bis Ende des Zweiten Weltkriegs nur gering. So betrug im Jahre 1900 der Anteil der Landbevölkerung 80,2% und im Jahre 1934 78,5%. Im Zeichen des Zweiten Weltkriegs versuchte Bulgarien so lange wie möglich Neutralität zu wahren. Deswegen gab Bulgarien zwei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Neutralitätserklärung (15. September 1939) ab. Mit der Sowjetunion wurden zwei Schifffahrtsverträge (11. Dezember 1939 und 5. Januar 1940) unterzeichnet. Einen von Moskau angebotenen Pakt über wechselseitige Unterstützung lehnte die rechtsgerichtete Regierung Bogdan Filow (Februar 1940 bis September 1943) jedoch ab, da sie eine allzu große Einflussnahme auf die inneren Verhältnisse und eine „Sowjetisierung“ befürchtete.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
GNU-Lizenz für freie Dokumentation