Deutschland  6.5 Deutsches Kaiserreich (1871–1918)
Die Gründung des Norddeutschen Bundes (1867) unter preußischer Führung leitete die sogenannte kleindeutsche Lösung ein. Diese zielte entsprechend der Intention Bismarcks auf eine staatliche Einigung deutscher Einzelstaaten unter der Hegemonie Preußens ohne die damalige Großmacht Österreich. Das Deutsche Reich wurde nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles ausgerufen.
Mit der Reichsgründung wurden Gebiete eingegliedert, die noch nie oder lange nicht mehr zum Heiligen Römischen Reich gehört hatten. Dazu gehörten West-, Ostpreußen, das überwiegend polnischsprachige Gebiet Posen und Schleswig. Frankreich trat (deutsch- und französischsprachige) Teilgebiete der Regionen Lothringen und Elsass ab, welche als direkt von der Zentrale verwaltetes „Reichsland Elsass-Lothringen“ ohne Gliedstaatrechte konstituiert wurden.
Otto von Bismarck hatte als preußischer Ministerpräsident auf die Reichsgründung hingewirkt, maßgeblich die Verfassung entworfen und wurde nun erster Reichskanzler. Seine Politik stützte die Macht des monarchischen Staates, war aber flexibel und letztlich zwiespältig:
Gegen die katholische Kirche führte er einen so genannten Kulturkampf, in dessen Folge sogar Bischöfe inhaftiert wurden; inhaltlich waren die entsprechenden Gesetze (zur Schule, zur Ehe) oft eher liberal.
Um die Liberalen zu schwächen, führte Bismarck bei Reichstagswahlen das demokratische Wahlrecht für alle Männer ein. Nationalliberale waren andererseits lange Zeit Partner Bismarcks.
Bismarck bekämpfte die Sozialdemokratie seit 1878 mithilfe der Sozialistengesetze, versuchte aber, die Arbeiter durch eine moderne Sozialgesetzgebung an den Staat zu binden.
Seine anfangs aggressive Außenpolitik änderte sich ab der Reichsgründung zu einer Bündnispolitik, die ein defensives Bündnissystem schuf, mit Deutschland als halbhegemonialer Macht in der Mitte Europas. Frankreich wurde isoliert und ermutigt, sich auf seine Kolonien (und nicht auf das verlorene Elsass-Lothringen) zu konzentrieren.
Bismarck war gegenüber der Erwerbung von Kolonien skeptisch. Wirtschaftliche Schwierigkeiten und Kolonialpolitik deutscher Kaufleute führten trotzdem dazu, dass eine Gruppe auf der Berliner Kongo-Konferenz Deutschland 1884 sich bei der Teilung Afrikas Gebiete zusprach und damit in den Kreis der Kolonialmächte eintrat, nachdem schon in den frühen 1880er Jahren deutsche Vereine Territorien in Afrika und Asien erworben hatten.
Im „Dreikaiserjahr“ 1888 kam Wilhelm II. an die Macht, der schon 1890 Bismarck zum Rücktritt zwang und die Außenpolitik in Richtung konfrontaler Großmacht- und Weltmachtpolitik änderte. Durch den neuen Kurs isolierte sich das Reich selber und ein neues Bündnissystem entstand. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand löste im Jahre 1914 den Ersten Weltkrieg aus. Mehr als zwei Millionen deutsche Soldaten starben im Ersten Weltkrieg, rund 800.000 Zivilisten starben an Hunger.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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