Nicaragua  4.4 Die Sandinisten
Ausgelöst durch Korruption und staatlichem Machtmissbrauch des Diktators Anastasio Somoza Debayle kam es 1977 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die in einen Bürgerkrieg mündeten und das ganze Land erfassten. Am 17. Juli 1979 wurde Somoza durch die Nicaraguanische Revolution gestürzt.
Zunächst verfolgten die Sandinisten ein durchaus friedliches und demokratisches Programm; eine breit angelegte Bildungskampagne auch bei Erwachsenen führte zu einer deutlichen Senkung der Analphabetenrate, indigene und bäuerliche Kunst und Kultur wurden gepflegt. Ausdruck hierfür war die Ernennung des weltbekannten Dichters und Priesters Ernesto Cardenal zum Kulturminister. Schulen wurden im ganzen Land gegründet, wobei diese oft in sehr einfachen Hütten untergebracht waren; Lehrer wurden in Schnellkursen geschult, weil unter Somoza für Lehrerbildung nicht das Geringste getan worden war. Das Gesundheitswesen wurde entwickelt, auch hier gelang es, auf dem Lande Krankenstationen zu etablieren, die erstmals ein wenigstens notdürftiges Hygieneprogramm verbreiteten.
Ein weiteres innenpolitisches Vorhaben war die Entwicklung der Frauenrechte. Dieses Programm knüpfte an den Bekanntheitsgrad von sandinistischen Heldinnen an, im durch und durch machistischen Nicaragua ein bemerkenswerter Vorgang, der sicher auch zum späteren Wahlerfolg von Violeta Chamorro beigetragen hat. Aber auch der Welterfolg der Bücher von Gioconda Belli (Die bewohnte Frau) ist in diesem Zusammenhang wohl zu nennen.
Unter der Sandinistenherrschaft kam es 1982 zu Zwangsumsiedlungen von 8.500 Miskito-Indianern. Sie mussten die Küstenregion verlassen und wurden ins Landesinnere deportiert. Ungefähr 10.000 Miskito flohen ins benachbarte Honduras.
US-Präsident Ronald Reagan unternahm in den 1980er Jahren den Versuch, die sandinistische Regierung zu stürzen, die in vielen westlichen Medien als kommunistisch bezeichnet wurde. Er veranlasste die Verminung des einzigen nicaraguanischen Pazifikhafens Corinto und die finanzielle und militärische Unterstützung vorwiegend von Honduras aus operierender, bewaffneter, paramilitärischer Terrorgruppen (der Contra), unter denen Soldaten der früheren somozistischen Nationalgarde waren. Das Geld zur Unterstützung stammte aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran (siehe auch Iran-Contra-Affäre). Die Contras unternahmen vorwiegend terroristische Überfälle auf die Landbevölkerung, legten Minen, verbrannten die Ernte, stahlen Vieh, um die Situation im Lande zu destabilisieren und die Bevölkerung zu verunsichern. Reagan nannte diese Terroristen „Freiheitskämpfer“. Gleichzeitig schürten die USA Auseinandersetzungen zwischen der sandinistischen Regierung und den Miskito-Indígenas an der Karibikküste. Dennoch brachten die ersten freien Wahlen in Nicaragua im Jahr 1984 eine Bestätigung der sandinistischen Regierung. Internationale Wahlbeobachter, wie der amerikanische Expräsident Jimmy Carter, attestierten damals einen fairen Verlauf.
Die USA wurden für militärische und paramilitärische Aktionen in und gegen Nicaragua vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu einer Zahlung von 2,4 Milliarden US-Dollar verurteilt, erklärten aber den Gerichtshof für unbefugt, über die USA zu urteilen, obwohl sie selbst Richter an den Gerichtshof entsendeten. In einer Resolution forderte die UN-Generalversammlung die USA auf, dem Urteil nachzukommen. Nur die USA, Israel und El Salvador stimmten gegen die Resolution. Dennoch weigerten sich die USA bisher, die Zahlung an Nicaragua zu leisten.
1988 wurde als Ergebnis der Friedensverhandlungen der mittelamerikanischen Staaten untereinander das Abkommen Esquipulas II von den zentralamerikanischen Staatspräsidenten unterzeichnet. In diesem Abkommen hatten sich die Staatspräsidenten auf die Demobilisierung aller irregulären Truppen, die Verkleinerung der regulären Armee, sowie freie und geheime Wahlen geeinigt. Diese politische Öffnung führte schließlich zu den demokratischen Wahlen von 1990, die mit dem Einverständnis der sandinistischen Regierung durch die Vereinten Nationen überwacht wurden. Allerdings war das noch sandinistisch beherrschte Nicaragua der einzige beteiligte Staat, der die Übereinkünfte erfüllt hat.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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