Russland (Russische Förderation)  5.4 „Gelenkte Demokratie“ Putins
Wladimir Putin, den Jelzin selbst als seinen Nachfolger nominiert hatte, gewann die Präsidentschaftswahlen im März 2000 mit 52,9 Prozent der Stimmen.
Staatspräsident Putin ist es seither gelungen, für mehr politische und wirtschaftliche Stabilität zu sorgen, allerdings nach Meinung vieler überwiegend westlicher Beobachter auf Kosten der Meinungs- und Pressefreiheit und einer sehr weitreichenden Konzentration der Macht in seinem Amt. Das Ziel, Russland zu einer pluralistischen Demokratie nach westlichem Muster – mit starken politischen Parteien, unabhängigen Verbänden, freien Medien und einer marktwirtschaftlich geordneten Wirtschaft – zu entwickeln, wird ihm von vielen Beobachtern abgesprochen. Das Leitbild scheint vielmehr ein politisches System zu sein, das der russische Publizist Sergej Markow als „gelenkte Demokratie“ bezeichnete. Von einigen Politologen wird Russlands politisches System auch als defekte Demokratie bezeichnet. Andere wiederum verweisen auf die Tatsache, dass die liberalen westlichen Werte in Russland nicht fest verankert sind, was bei der Beurteilung von Putins Politik zu berücksichtigen sei. Zu den Vertretern dieser Ansicht zählt z.B. der deutsche Altbundeskanzler Gerhard Schröder, der sich mit Putin persönlich gut versteht.
Der russische Staatspräsident besitzt schon aufgrund der Verfassung weitreichende Befugnisse. Putin hat diese Machtposition ausgebaut:
Er beschränkte die Macht der Gouverneure der Regionen drastisch.
Er schränkte die Pressefreiheit ein.
Er beschnitt den Einfluss der „Oligarchen“ in Medien und Politik.
Bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen gewann Putin deutliche Mehrheiten. Bereits seit Januar 2002 werden die Mitglieder des Oberhauses des russischen Parlaments, des sogenannten Föderationsrats, nicht mehr durch die Gouverneure und die regionalen Parlamentspräsidenten gestellt, sondern nur noch durch vom jeweiligen Gouverneur oder Regionalparlament entsandte Vertreter. Die seit 1996 praktizierte direkte Wahl der Gouverneure in den Regionen der russischen Republik schaffte Putin Ende 2004 wieder ab. Seither schlägt der Staatspräsident den Kandidaten für ein Gouverneursamt vor, den die Regionalparlamente bestätigen müssen, wenn dieser sein Amt antreten soll.
Zur Festigung seiner Machtposition verstärkte Putin die staatlichen Eingriffe in die Arbeit von Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. In westlichen Medien und von internationalen Bürgerrechtsorganisationen werden immer wieder Einschränkungen der Pressefreiheit in Russland kritisiert. Verwiesen wird zum Beispiel auf mehrjährige Gefängnisstrafen von Kritikern wie Grigori Pasko und Igor Sutjagin. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland berichtet in seinen Länder-Informationen zu Russland zu den Einschränkungen der Pressefreiheit: Am deutlichsten ist die staatliche Einflussnahme im Bereich des Fernsehens. Alle drei landesweit sendenden TV-Stationen sind entweder direkt in staatlichem Besitz oder unter staatlicher Kontrolle. Im Radiobereich ist die Situation ähnlich.
Im Bereich der gedruckten Medien herrscht nach wie vor eine recht große Meinungsvielfalt. Auflagenstarke Moskauer Tageszeitungen äußern immer wieder deutliche Kritik an Putins Politik, an Verstrickungen von Politik und Justiz oder an Korruptionsaffären.
Gegenüber den „Oligarchen“ verfolgt Putin eine Doppelstrategie: Während er gegen politisch ambitionierte Oligarchen wie Boris Beresowski und Wladimir Gusinski, die über Massenmedien Einfluss ausübten, scharf vorging, bezieht er die Mehrheit der „kremltreuen“ Unternehmer in einen fortgesetzten Dialog ein. Das Strafverfahren gegen Michail Chodorkowski, der an der Spitze des Mineralölkonzerns Jukos stand, zeigte erneut, dass Putin eine politische Rolle der Oligarchen im Sinne des Westens nicht duldet. Chodorkowski hatte eine Reihe von dem Westen nahe stehenden Parteien und Abgeordneten großzügig unterstützt. Die Presse sagte ihm nach, er habe Ambitionen für eine Präsidentschaftskandidatur. Weiterhin verhandelte er über einen Verkauf eines Kontrollpakets von 25 Prozent plus einer Aktie des Jukos-Kapitals an die US-Ölkonzerne Exxon Mobil oder Chevron. Ende Mai 2005 wurde Chodorkowski zu 9 Jahren Haft, insbesondere wegen Steuerhinterziehung, verurteilt. Das Vorgehen gegen ihn zeigt, dass der russische Staat versucht die Kontrolle über die nationale Wirtschaft nicht in die Hände ausländischer Investoren zu geben, sondern bemüht ist die eigene Industrie zu stärken und den Einfluss westlicher Investoren so gering wie möglich zu halten..
Bei den Wählern findet die Politik Putins indes viel Zustimmung. Nach den russische Parlamentswahlen 2003 (Duma), Anfang Dezember, erreichte die dem Präsidenten nahestehende Partei Einiges Russland mit 307 von 450 Sitzen eine Zweidrittelmehrheit. Von den Wahlbeobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurden die Wahlen allerdings als „zwar frei, aber nicht fair“ kritisiert. Bei den Präsidentenwahlen am 14. März 2004 wurde Putin mit 71,3 Prozent im ersten Wahlgang wiedergewählt. Dieses Ergebnis kann zwar als deutliches Vertrauensvotum der Bevölkerung für seine Politik gelten. Von internationalen Wahlbeobachtern wurde allerdings mangelnde Chancengleichheit unter den Kandidaten kritisiert.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
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