Ungarn  11.4 Literatur
Aus der Zeit, in der die Magyaren noch nicht christianisiert waren (bis ca. 950–1000), sind lediglich einige Inschriften in ungarischen Runen erhalten. Seit der Christianisierung durch Stephan I. (Szent István) wurde nur das lateinische Alphabet verwendet. Die Literatursprache war ebenfalls das Lateinische. Der älteste vollständig erhaltene sakrale Text in ungarischer Sprache ist die „Grabrede“ (halotti beszéd) und ein angefügtes Gebet, das um 1200 entstand. Im 13. und 14. Jahrhundert dominierte die lateinische Geschichtsschreibung. Hier sind vor allem die Gesta Hungarorum aus dem 13. Jahrhundert zu nennen. Der Autor nannte sich „Anonymus“. Wer er wirklich war, ist bis heute umstritten. Nach der Blüte der Geschichtsschreibung gelangte die christliche Hymnendichtung in den Vordergrund. Das erste vollständig erhaltene Gedicht in ungarischer Sprache ist die „Altungarische Marienklage“ (Ómagyar Máriasiralom), sie wurde erst 1922 entdeckt.
Mit dem Renaissancekönig Matthias Corvinus (1458–1490) setzte in Ungarn ein kultureller Aufschwung ein, und für die Bibliotheca Corviniana entstanden zahlreiche Prachtcodices mit ungarischen Passagen. Bedeutende lateinisch schreibende Ungarn waren Janus Pannonius (1434–1472) und Bálint Balassi (1554–1594). Der wichtigste Vertreter der Gegenreformation war Péter Pázmány (1570–1637), er hatte Vorbildwirkung für die ungarische Prosa. Sein Hauptwerk, der „Führer zur göttlichen Wahrheit“ (1613), war ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung einer ungarischen Philosophiesprache. Erst in dieser Zeit setzte sich das Ungarische als Schriftsprache endgültig durch. Miklós Zrínyi (1620–1664) schrieb das Nationalepos „Die Belagerung von Sziget“ (Szigeti veszedelem, 1645/46), das 1821 auf Deutsch erschien und das erste Epos überhaupt in ungarischer Sprache war.
Neben Sándor Baróczi (1735–1809) und Ábrahám Barcsay (1742–1806) waren es vor allem György Bessenyei (ca. 1747–1811), die sich in der Aufklärung und der Romantik in den Vordergrund stellten und den Anschluss an die allgemeine europäische Entwicklung fanden. Pest wurde zum literarischen Zentrum Ungarns. Der Wiener Hof blieb aber nicht untätig und baute ein weit verzweigtes Netzwerk von Zensoren auf. Mihály Csokonai Vitéz (1773–1805) war ein großer Lyriker, der in Ungarn seltene lyrische Formen einsetzte und einführte, etwa das erste jambische Gedicht. Er schrieb das erste ungarische ironische Epos „Dorothea“ (Dorottya, 1795), in dem er die adelige Lebensweise karikiert.
Die Zeit zwischen 1823–1848 war eine Glanzzeit der ungarischen Literatur. Mit Mihály Vörösmarty (1800–1855), János Arany (1817–1882) und Sándor Petőfi (1823–1859) gab es eine Reihe bedeutender Schriftsteller. Das Gedicht Szózat (1838) von Mihály Vörösmarty, das während der Märzrevolution 1848 als ungarische Nationalhymne diente, war eines der bedeutendsten Werke dieser Zeit. Mór Jókai (1825–1904) war ebenfalls ein Vertreter der Romantik. Ferenc Kölcsey schrieb 1823 die Nationalhymne Himnusz.
Endre Adys (1877–1919) wichtiges Werk sind die „Neuen Gedichte“ aus dem Jahr 1906. Er war die überragende Gestalt am Beginn des 20. Jahrhunderts in der ungarischen Literatur. Mihály Babits (1883–1941) übersetzte Dantes Göttliche Komödie und schrieb Romane, Lyrik und Essays. Dezső Kosztolányi (1885–1936) übersetzte zeitgenössische Werke der Weltliteratur in „Moderne Dichter“ (1913). Ferenc Molnár (1878–1952) ist der bedeutendste ungarische Dramatiker, am bekanntesten ist sein Theaterstück Liliom (1909). 1937 musste er ins Exil in die USA. Sándor Márai (1900–1989) lebte lange Zeit teils (freiwillig) im Ausland, teils im Exil.
Nach der kommunistischen Machtergreifung verstummten zahlreiche ungarische Schriftsteller, oder sie emigrierten. Dem Schema des sozialistischen Realismus beugten sich nicht alle Schriftsteller. Kritik mit ihren Werken äußerten Péter Nádas, Tibor Déry und Magda Szabó.
Imre Kertész (* 1929) verarbeitete die Erfahrung, die er als Überlebender des KZ Auschwitz-Birkenau erfahren hatte, im Roman eines Schicksallosen (Sorstalanság, 1975). Er erhielt dafür 2002 den Nobelpreis für Literatur. Andere Autoren sind Ferenc Juhász und György Konrád, Lyriker sind zum Beispiel László Nagy, Sándor Weöres und János Pilinszky.
István Eörsi und László Krasznahorkai setzten sich nach dem Ende des kommunistischen Regimes in Ungarn mit der Machtausübung in totalitären Systemen auseinander. Als der bekannteste nach dem Krieg geborene Autor gilt Péter Esterházy (* 1950) mit seiner „Harmonia Caelestis“ und der „Verbesserten Ausgabe“ derselben.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
GNU-Lizenz für freie Dokumentation