Ungarn  6 Geschichte seit 1989 und aktuelle Politik
Nach 1989/90 wurde Ungarn (politisch gesehen) Teil des westlichen Staatensystems. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 wurde auch das ungarische Staatswesen erneuert. Am 23. Oktober 1989 – dem Jahrestag des Ungarischen Volksaufstands von 1956 – wurde die Republik Ungarn ausgerufen, und eine modifizierte Version der sozialistischen Verfassung von 1949 trat in Kraft. Vorbild dieser geänderten Fassung war unter anderem das deutsche Grundgesetz. Die Regierung ist dem Parlament verantwortlich, für die Regierungstätigkeit trägt der Ministerpräsident Verantwortung. Um eine möglichst große Stabilität der Regierung zu gewährleisten, wurde die Institution des konstruktiven Misstrauensvotums geschaffen. Im März 1990 fanden die ersten freien Parlamentswahlen Ungarns seit 1947 statt. Ministerpräsident wurde József Antall, Staatspräsident Árpád Göncz.
1999 trat Ungarn der NATO bei, und zum 1. Mai 2004 folgte – mit der Zustimmung einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung – der Beitritt zur Europäischen Union im Zuge der EU-Osterweiterung. Die anfängliche Begeisterung wich aber angesichts der sich wirtschaftlich verschlechternden Lage zahlreicher Menschen (insbesondere alter Menschen) einer Ernüchterung. Die Folge sind Resignation und politisches Desinteresse, was sich auch schon in der Wahlbeteiligung des Referendums zum EU-Beitritt am 12. April 2003 ausdrückte: Zwar stimmten 84 % für den Beitritt, aber lediglich 45,6 % der acht Millionen Wahlberechtigten gingen zur Abstimmung.
Das Parlament wählt den Präsidenten der Republik, den Ministerpräsidenten, die Mitglieder des Verfassungsgerichts, den Ombudsmann der Minderheiten, den Präsidenten des Obersten Gerichts und den Generalstaatsanwalt. Das Einkammerparlament hat 386 Abgeordnete, die auf vier Jahre gewählt werden. In Ungarn gibt es ein gemischtes Wahlsystem, ähnlich wie in Deutschland. Seit August 2000 war der parteilose Ferenc Mádl als Präsident, der für fünf Jahre gewählt wird, im Amt. Im Juni 2005 gewann László Sólyom die Wahl zum Präsidenten. Er ist ehemaliger Präsident des ungarischen Verfassungsgerichts.
Die ungarische Politik war seit der Einführung freier und geheimer Wahlen 1990 von ständigen Mehrheitswechseln geprägt.
Péter Boross war der Nachfolger von József Antall als Ministerpräsident der Republik Ungarn von Dezember 1993 bis Juni 1994. Er war zuvor Innenminister. Mit der Abwahl von Boross 1994 endete die Regierungsverantwortung des Ungarischen Demokratischen Forums. Boross war in der Regierungszeit von Viktor Orbán (Fidesz) 1998–2002 als dessen Berater tätig, distanzierte sich aber später von Orbán.
Nach den Wahlen 2002 übernahm wieder die MSzP (Ungarische Sozialistische Partei) zusammen mit dem SzDSz die Regierungsverantwortung. Der aktuelle Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, der seit dem 29. September 2004 amtiert, ist Nachfolger von Péter Medgyessy, der nach Versuchen der Regierungsumstrukturierung zurückgetreten war. Außenminister ist Ferenc Somogyi, der am 2. November 2004 die Nachfolge von László Kovács, dem ungarischen EU-Kommissar, angetreten hatte.
Die Regierung von MSzP und SzDSz wurde bei den Parlamentswahlen vom 9. und 23. April 2006 wiedergewählt. Damit schaffte es eine Regierung erstmals, im Amt zu bleiben.
Seit September 2006 befindet sich Ungarn in einer innenpolitischen Krise. Seit Gyurcsány eingestanden hatte, vor den Wahlen im April 2006 gelogen zu haben, fordert die Opposition seinen Rücktritt. Im September und Oktober 2006 kam es vor allem in Budapest wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen, die auch die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Volksaufstands von 1956 überschatteten.

03.06.2007 - Seiteninhalt steht unter der
GNU-Lizenz für freie Dokumentation