Istanbul  8.2.2 Osmanisches Konstantinopel
Die osmanischen Sultane und ihre höchsten Würdenträger strebten sofort nach der Eroberung Konstantinopels danach, ihre Macht und ihren Glauben sichtbar zu demonstrieren, so wie das auch die christlichen Herrscher getan hatten. Die Übernahme griechischer Handwerker, griechischer Bauformen und sogar ganzer griechischer Gebäude dienten diesem Zweck. So erstaunt es keineswegs, dass der bedeutendste osmanische Architekt, Sinan, kein Türke war. Dennoch bildete sich ein eigener osmanischer Baustil heraus.
Ab dem 18. Jahrhundert geriet die osmanische Architektur immer mehr unter den Einfluss westeuropäischer Stile wie Barock (Lâleli Camii), Klassizismus und Jugendstil (Kamondo Merdivenleri, Beyoğlu). Der Versuch, wenigstens äußerlich Osmanisches beizubehalten, auch wenn der Kern längst von westlichen Technologien bestimmt war, führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem osmanischen Historismus, der noch die in die neue Zeit der Türkischen Republik hineinragende „Erste Nationale Architekturbewegung“ charakterisierte.
Die osmanische Architektur zeigt sich vor allem
in den Palästen und Residenzen
in den Moscheen und den zugehörigen Stiftungsgebäuden, Külliyen genannt
in den großen, mehrstöckigen Handelshäusern, Herbergen und Magazinen
in den Basaren
in Zweck- und Schmuckbauten
Residenzen
Der Topkapı Sarayı (Topkapi-Palast) war bis 1856 Wohnung der Sultansfamilie (Harem) und Herrschersitz (Diwan) und damit Zentrum der Macht. Dieser immer wieder umgestaltete, vielgliederige Sultanspalast liegt exponiert an der Spitze der zwischen Goldenem Horn, Bosporus und Marmarameer gelegenen Halbinsel. Er ist eine touristische Hauptattraktion des heutigen Istanbul.
Der Dolmabahçe Sarayı (Dolmabahçe-Palast) von 1856 auf der europäischen Seite des Bosporus zeigt sinnfällig, dass die Sultane im 19. Jahrhundert auch äußerlich danach strebten, sich dem europäischen Westen anzugleichen.
Moscheen
Steter Ausdruck von Glaube, Macht und imperialem Willen der osmanischen Würdenträger sind die Großmoscheen, meist gestiftet von den Sultanen, deren Familienangehörigen, den Wesiren und anderen Würdenträgern des Staates. Die meisten Moscheen schließen sich der Bauidee der Hagia Sophia an.
Zum überkuppelten Gebetsraum gehören zudem ein umgrenzter Vorhof (avlu) und meist eine Külliye mit Medresen, z. B. genutzt als Grundschule (mektep), theologische Schule oder Ärzteschule, mit Wohnzellen der Studenten (hücre), Hospital (dar-üş-şifa), Hospiz (tabhane), Armenküche (imaret), Bibliothek (kütüphane), Karawanserei (kervansaray), Bad (hamam) und Grabbauten (türbe), manchmal auch mit einem Observatorium für glaubensrelevante Zeit- und Kalenderberechnungen (muvakkithane).
Eine Auswahl typischer Moscheen:
aus der osmanischen Frühzeit
Mahmut Paşa Camii – älteste erhaltene Großmoschee von 1462
Sultan Beyazıt Camii – älteste erhaltene Sultans-Moschee von 1506
Moscheen des Architekten (Mimar) Sinan
İskele Camii in Üsküdar – erste von Sinan geschaffene Moschee von 1548
Şehzade Camii – Sinans „Lehrlingsstück“ von 1548
Sultan Süleyman Camii – Sinans „Gesellenstück“ von 1557
Rüstem Paşa Camii – Stiftung eines Großwesirs, ausgestattet mit wunderbaren İznik-Fliesen, von 1561
Piyale Paşa Camii – Sinans (?) Rückgriff auf den Ulu-Cami-Typ mit mehreren kleineren Kuppeln, vor 1578
Nachklang
Yeni Valide Camii – am Goldenen Horn gelegen, Bauzeit von 1597 bis 1663
Sultan Ahmet Camii – die berühmte „Blaue Moschee“ von 1617
Sultan Mehmet Fatih Camii – Neubau der Eroberermoschee nach einem Erdbeben 1766, Mittelpunkt einer stilbildenden Külliye
Eyüp Sultan Camii – Moschee mit dem Grab von Mohammeds Bannerträger, bedeutendes spirituelles Heiligtum des Islam, gegründet 1458, Neubau in eher traditionellem Stil von 1798 bis 1800
Osmanischer Barock
Nuru Osmaniye Camii – Kuppelbau aus ursprünglich weißem Marmor mit halbrundem Vorhof, von 1755
Lâleli Camii – 1763 fertiggestellt, nach Erdbeben 1783 erneuert, Barockmoschee mit kleinem Basar im Untergeschoss
Nusretiye Camii, Moschee für die Soldaten der einst nebenan gelegenen Kasernen, von 1826
Dolmabahçe Camii – unmittelbar am Ufer des Bosporus, Teil der gleichnamigen Palastanlage von 1853
Ortaköy Camii von 1854
Basare und Handelshäuser
der große Gedeckte Basar (Kapalı Çarşı), der Ägyptische Basar (Mısır Çarşısı) und der Bücherbasar (Sahaflar Çarşısı)
der Valide Hanı und der Rüstem Paşa Hanı.
Zweck- und Schmuckbauten
Bäder (türk. hamam)
Çemberlitaş-Hamam in Çemberlitaş
Galatasaray-Hamam in Beyoğlu
Brunnen
Reinigungsbrunnen (şadırvan) innerhalb eines Moscheevorhofes (avsu), z. B. der achteckige Brunnen der Yeni Cami
Brunnenhäuser (sebil), z. B. der Valide Sultan Turhan Hadice Sebili bei der Yeni Cami
Laufbrunnen (çeşme), z. B. der Brunnen von 1906 am deutschen Generalkonsulat
der vom deutschen Kaiser Wilhelm II. gestiftete Deutsche Brunnen auf dem Hippodrom
Türben
Mausoleen verschiedener Mitglieder der Sultansfamilien und hoher Würdenträger bei der Süleymaniye Camii, der Hagia Sophia und bei der Eyüp Camii
Militäranlagen
Selimiye-Kaserne in Üsküdar
Befestigungen
Yedikule („Burg der sieben Türme“) am Südende der Landmauer
Rumeli Hisarı und Anadolu Hisarı am Bosporus
Galataturm
Beyazıtturm (Seraskerturm)
Leanderturm (Kız kulesi, „Mädchenturm“) auf einer Bosporusinsel vor Üsküdar
Brücken
alte Galatabrücke, zwischen 1845 und 1912 mehrmals umgebaut, jetzt ersetzt und verschoben
Bahnhöfe
der europäische Kopfbahnhof Sirkeci
der asiatische Kopfbahnhof Haydarpaşa
Wohngebäude
Straßenzüge mit meist mehrstöckigen Holzhäusern findet sie man z. B. noch in Fatih und in Üsküdar
Sommervillen aus Holz (yalı) an beiden Ufern des Bosporus, in jüngerer Zeit teilweise gut renoviert
Mietshäuser mit Geschäften und Handwerksbetrieben im Untergeschoss entstanden nach europäischen Vorbildern vor allem im 19. Jahrhundert, z. B. in Beyoğlu
Botschaftsgebäude in Beyoğlu, heute meist Konsulate
Kirchen und Synagogen, darunter
die bulgarisch-orthodoxe „Eiserne Kirche“ St. Stefan in Fener

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