Sankt Petersburg  12.1 Wirtschaft
Sankt Petersburg ist ein Verkehrsknotenpunkt und ein Zentrum russischer Forschung und Entwicklung und beherbergt dementsprechend ein großes Potenzial an Betrieben aus diesem Bereich. Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der russischen Rubelkrise von 1998 konnte die Stadt große Teile ihres Potenzials retten.
In Sankt Petersburg finden sich Betriebe fast aller Zweige der verarbeitenden Industrie, ein besonderer Schwerpunkt liegt aber auf dem Schiff- und Maschinenbau. Unter anderem werden alle russischen atomgetriebenen Eisbrecher in der Stadt gefertigt. Weitere Schwerpunkte des industriellen Sektors in der Stadt sind Radioelektronik (vor allem in der Luft- und Raumfahrt), Neue Baustoffe (eine der vorrangigen Wachstumsbranchen), Energiemaschinenbau (Branchenbetriebe sind weltweit wettbewerbsfähig), Medizinischer Gerätebau, Vorbeugungsmedizin und Gesundheitswesen sowie Ökologisches Engineering. Außerdem besitzt die Stadt Möbelindustrie, Nahrungsmittelindustrie (u.a.Baltika Brauerei) und erdölverarbeitende Industrie. In den letzten Jahren beginnt die Informationstechnologie eine größere Rolle einzunehmen.
Zahlreiche russische Großkonzerne, vor allem solche mit hohem Staatsanteil, verlagern gegenwärtig ihre Hauptquartiere aus Moskau an die Newa. Die Steuern der Gazprom-Öltochter Gazpromneft, der Außenhandelsbank WTB (hält immerhin 4,8% der Aktien an der EADS), der Reederei Sovtorgflot, die Pipeline-Firma Transnefteprodukt oder der Fluggesellschaft Transaero werden in Zukunft das Stadtbudget auffüllen.
Der Erfolg dieser Wirtschaftsansiedlung ist aber nur bedingt auf die guten Petersburger Investitionsbedingungen zurückzuführen, sondern administrativ gesteuert. Ausländische Unternehmen entscheiden sich dagegen aus nüchternen Kalkulationen für ihre Standorte.
Besonders emsig ist gegenwärtig die Automobilindustrie auf der Suche: Russlands Automarkt boomt, die Zulassungszahlen von Import-Autos erreichen inzwischen die des früheren Quasi-Monopolisten Lada. Zudem laufen in diesem Jahr wegen des geplanten WTO-Beitritts Sonderkonditionen bei Importzöllen aus, die das russische Wirtschaftsministerium für die Errichtung von Kfz-Produktionsstätten im Land ausgeschrieben hat.
Aus diesem Grund entwickelt sich das „nördliche Venedig“ nun unvermittelt zum „russischen Detroit“ – und siedelte bislang die Hälfte aller ausländischen Autowerk-Projekte an.
Im heutigen Autobau zählen folgende Faktoren: Ein guter logistischer Anschluss (im Falle Petersburgs über den größten russischen Hafen), qualifizierte Arbeitskräfte, erschlossene Gewerbeflächen, lokale Steuervergünstigungen und die Nähe zum Hauptabsatzmarkt.
Dieses Faktoren sorgte dafür, dass während des diesjährigen Internationalen Wirtschaftsforums in der Newa-Stadt (eine Art kleinem „Davos“ für die GUS-Staaten) in St. Petersburg gleich zwei Projekte für Automobilfabriken offiziell angeschoben: Nissan-Chef Carlos Ghosn unterzeichnete einen Vertrag über den Bau eines Autowerkes im Nordwesten der Stadt – während gleichentags General-Motors-Generaldirektor Rick Wagoner im Südosten den ersten Spatenstich für die erste GM-eigene Autofabrik auf russischem Boden tat.
Der Chevrolet Captiva soll als erstes GM-Modell in Petersburg vom Band rollen. Nissan will 200 Mio. Dollar investieren, um hier ab 2008 jährlich 50.000 Autos zweier Baureihen zu montieren – einen SUV und ein Auto der Golf-Klasse. GM gibt sich mit 115 Mio. Dollar Investitionsvolumen bescheidener und peilt zunächst 25.000 Autos an. Erstes Modell soll der bislang bei Daewoo in Korea gefertigte Soft-Geländewagen Captiva werden. Mit einer provisorischen „Schraubenzieherfertigung“ des Captiva in angemieteten Hallen will GM sogar schon in diesem Herbst beginnen.
Damit treten beide Hersteller aber nur in die Fußstapfen von Toyota: Der japanische Konzern hat nur schon ein Jahr Vorsprung und baut unweit des zukünftigen GM-Werkes bereits an seiner zukünftigen russischen Produktionsstätte für 50.000 Autos pro Jahr. Hier soll vorrangig der Camry entstehen – auch dies kein Kleine-Leute-Auto, sondern eine solide Business-Limousine.
Allen dreien voraus ist Ford: In Wsewoloshsk, etwas außerhalb der Stadtgrenzen von St. Petersburg, läuft bereits seit 2002 ein neu errichtetes Montagewerk für den Ford Focus. Die Kapazität dieses Werkes hat jetzt 60.000 Autos erreicht.
In Bezug auf den Raum Petersburg sprechen Fachleute nun mit Fug und Recht von einem „Automobil-Cluster“. Vier nagelneue Autowerke auf einem Fleck – dies macht Petersburg auch für die Zulieferindustrie interessant. So bekam unlängst das sächsische Unternehmen Hörmann-Rawema den Auftrag, für das Kirow-Werk, einen der Petersburger Industriegiganten, eine neue Gießerei zu projektieren. Als Abnehmer für die geplanten Präzisionsgussteile hat man insbesondere die Autoindustrie im Visier.
Auch der kanadische Kfz-Zulieferer Magna habe entschieden, teilte Maxim Sokolow, Leiter des Komitees für Investitionen und strategische Projekte der Stadtregierung von Sankt Petersburg, am 6. September 2006 vor Journalisten mit, im zweiten Halbjahr 2007 mit dem Bau eines Werkes für Autoteile in Sankt Petersburg zu beginnen. Als Standort wählte Magna das Industriegebiet Schuschary südöstlich von dem im Bau befindlichen Toyota-Werk, sagte Sokolow.
Als einer der größten Hersteller von Automobilteilen beliefert Magna International Ford, Toyota, Honda, Volkswagen, Porsche, General Motors, DaimlerChrysler, Mitsubishi, Hyundai, Great Wall usw. Seine Grazer Tochter Magna Steyr AG wird 50 Mio. Dollar investieren, um hier Kunststoffteile für Karosserien und Kfz-Innenräume herzustellen. Auch von einer Getriebefertigung ist in der Perspektive die Rede.
Toyota hat neben der Ansiedlung seines eigenen Montagewerkes die Niederlassung eines Tochterunternehmens angekündigt, das Autositze herstellen soll. Und ein russischer Konzern plant ganz in der Nähe die Errichtung einer 220 Millionen Dollar teuren Glasfabrik, die unter anderem Autoscheiben produzieren soll.
Die Ansiedlung von seriösen Zulieferunternehmen ist für die Hersteller dringend nötig, denn die stark vergünstigten Zollsätze auf die Einfuhr von Autokomponenten sind ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Russland hat sie an Bedingungen zur schrittweisen Erhöhung der „Lokalisierung“, also des Anteils einheimischer Wertschöpfung am Endpreis des Autos geknüpft.
Neben der boomenden Autoindustrie haben in der Stadt an ausländischen Unternehmen unter anderem Wrigley, Gillette, Rothmans, Unilever, Japan Tobacco, Coca-Cola und nennenswerte Investitionen getätigt. Fast 1 Milliarde Euro (2005) Umsatz machte die Baltika-Brauerei. Mehrheitsaktionär ist die Baltic Beverages Holding (BBH), diese wiederum gehört je zur Hälfte der dänischen Carlsberg-Brauerei und der schottischen Brauerei Scottish & Newcastle. Baltika ist inzwischen die grösste Brauerei in Russland und Osteuropa und nach Heineken die zweitgrösste in Europa. Das Joint-Venture wurde 1990 in Sankt Petersburg gegründet und hat sich schnell zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Stadt entwickelt.
Wichtigster Außenhandelspartner der Stadt ist Deutschland.
An Rohstoffen finden sich Kies, Sandstein, Ton und Torf. Die Landwirtschaft spielt keine Rolle in der lokalen Wirtschaft.
80 km von Sankt Petersburg entfernt steht in Sosnowy Bor ein großes Atomkraftwerk, das oft auch als Leningrader Atomkraftwerk bezeichnet wird. 50% des Strombedarfs der Region werden hieraus gespeist.
In der Sowjetunion war St. Petersburg der Hauptflottenstützpunkt, noch heute befindet sich der Großteil der ehemaligen Schlachtschiffe und U-Boote in den Petersburger Militärhäfen. Das erste Dieselmotorschiff der Welt, die Vandal, lief von Rybinsk kommend ab 1903 planmäßig St. Petersburg an. Vor der Perestroika bildete der rüstungsindustrielle Komplex 80 Prozent der Leningrader Wirtschaft.
Tourismus wird ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Stadt. Laut der UNESCO gehört die Stadt zu den zehn für Touristen attraktivsten Reisezielen weltweit.
Das Optik-Kombinat begründete mit der Produktion der LOMO Compact Automat eine eigene Stilrichtung der Fotografie, die Lomographie.

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