Wien  5.4 Wanderungsbewegung in den „Speckgürtel“
Seit den 50er-Jahren machen sich mehrere Siedlungstrends in der Agglomeration Wien bemerkbar. Einerseits war fast die gesamte Region von großen Geburtendefiziten geplagt, andererseits konnte großer Zuzug von Außen Wien und seine Umlandgemeinden in den meisten Fällen vor einem Rückgang schützen. In vielen Vororten machte sich bereits auch ein regelrechter Bauboom durch Zuwanderer bemerkbar. Mit der Entwicklung großer Gewerbegebiete südlich von Wien wurde der Zuzug weiter angekurbelt, aber auch aus Wien selbst zogen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Personen in die Grünlagen in den Randbezirken Wiens, zusehends aber auch in die Umlandsiedlungen der Stadt. Es entwickelte sich ein so genannter „Speckgürtel“ um die Bundeshauptstadt, welcher eine kontinuierlich steigende Anzahl von Personen aus anderen Teilen des Bundeslands Niederösterreich, wie zum Beispiel den an Bevölkerungsschwund leidenden Bezirken Waidhofen an der Thaya, Zwettl und Gmünd anzieht, und teilweise auch aus Wien abzieht.
Grund ist einerseits die schwierigere Arbeitsplatzsituation in den nördlichen Bezirken Niederösterreichs und andererseits das Bedürfnis vieler Menschen, vor allem von Familien, über ein Haus oder eine Wohnung in ruhiger Grünlage zu verfügen. Dieser Trend hat sich ab den 80er-Jahren vielerorts noch verstärkt, begünstigt durch immer kürzere Pendelzeiten auf Straße und Schiene.
Im Wesentlichen beschränkte sich die Wanderungsbewegung im Wiener Umland daher bisher auf die Gemeinden entlang großer Verkehrsachsen wie der West- und Südbahn sowie den Autobahnen West- (A1), Süd- (A2), Ost- (A4) und Donauuferautobahn (A22). Künftig wird sich mit der besseren Erschließung des Nordens und Ostens von Wien durch Eisen- und Autobahnprojekte - die Nordautobahn (A5) soll 2009 eröffnet werden - auch dort eine dichtere Besiedelung ergeben. Das statistische Amt der niederösterreichischen Landesregierung prognostiziert für zahlreiche Gemeinden des Bezirks Wien-Umgebung zwischen 2005 und 2010 einen Zuwachs von 5 % (Schwechat, Klosterneuburg, Gerasdorf, Purkersdorf), 4,9 % (Tulln, Baden) oder 5,5 % (Korneuburg). Auch für die an der künftigen Nordautobahn gelegenen Bezirke Gänserndorf, Mistelbach und Hollabrunn wird von stärkerem Wachstum ausgegangen.
Durch diese Siedlungsbewegungen der letzten Jahrzehnte, die auch weiterhin andauern, ergaben sich an fast sämtlichen Stadteinfahrten Wiens große Probleme mit der Bewältigung des Pendelverkehrs, da viele der in den Speckgürtel gezogenen Personen trotz hohen Arbeitsplatzangebots im Gewerbegebiet südlich von Wien über einen Arbeitsplatz in Wien verfügen (siehe hierzu auch die Spalte „Pendl. n. Wien“ in der untenstehenden Tabelle).
Die Bevölkerungsentwicklung in den Wiener Umlandgemeinden war in den letzten Jahrzehnten meist durch stagnierendes oder rückläufiges Geburtendefizit, sowie kontinuierliche oder ansteigende Zuwanderungsraten geprägt. Die Einwohnerzahl begann nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den meisten Wiener Umlandgemeinden rasch und kontinuierlich zu steigen. Nur in wenigen, so zum Beispiel Schwechat, bewirkte das hohe Geburtendefizit bis in die 70er-, 1980er-Jahre eine Stagnation der Bevölkerungszahl, oder ein nur abgeschwächtes Wachstum.
Nebenstehende Tabelle stellt den Bevölkerungszuwachs seit 1951 dem seit 1981 in Relation. Für den Zeitraum von 1981 bis 2001 wird zudem die Wanderungsbilanz und die Geburtenbilanz angegeben. Dadurch wird erkennbar, dass in vielen Gemeinden ein großer Teil des Bevölkerungszuwachses seit den 1980er-Jahren stattgefunden hat, und alleine der starken Zuwanderung, die zum Teil auch aus Wien stammt, zu verdanken ist. So erkennt man zum Beispiel an der niedrigeren Wachstumsrate von 1951 bis 2001, dass Klosterneuburg von 1951 bis 1981 einen Bevölkerungsrückgang erlebt hatte, und erst seit 1981 wieder an Einwohnern zulegt, oder dass Maria Enzersdorf im Vergleich zu 1951 zwar doppelt so viele Einwohner hat, aber seit 1981 wieder 10 % der Einwohner verloren hat, was eine seltene Ausnahme für Wiener Umlandgemeinden ist.
Auffällig ist auch, dass Klosterneuburg, Mödling - aber auch Pressbaum - ein im Vergleich zur eigenen Einwohnerzahl und zu anderen Gemeinden sehr hohes Geburtendefizit aufweisen, was auf einen höheren Altersdurchschnitt mit wenigen Jungfamilien hinweisen kann. Einen besonderen Ausnahmefall im Vergleich zu anderen Umlandgemeinden stellt auch Wiener Neudorf dar. Dieses hatte als einzige Gemeinde in der Umgebung Wiens zwischen 1981 und 2001 gleichzeitig einen hohen Geburtenüberschuss und eine Abwanderung zu verzeichnen. Außerdem pendelt mit 38,8 % der zweitniedrigste Anteil an den Erwerbstätigen Wiener Neudorfs zum Arbeiten nach Wien, wie in der Spalte rechts außen zu erkennen ist. Generell ist der Anteil der nach Wien pendelnden Personen in den südlichen Vorstädten (z. B. Brunn am Gebirge, Wiener Neudorf) geringer als in den westlichen und nördlichen (z. B. Gerasdorf, Purkersdorf), was natürlich an den zahlreichen Arbeitsplätzen südlich von Wien liegt.
Legende: Entf. in km = Luftlinie Entfernung zum Zentrum Wiens in Kilometern, Bev.-Zuw. = Bevölkerungszuwachs, Geb.bil. = Geburtenbilanz, Wandr.bil. = Wanderungsbilanz; Pendl. = Anteil der Auspendler nach Wien an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen

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